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diese Woche hatte ich meinen ersten Einsatz als Schöffin. Vielleicht haben Sie diese Erfahrung auch schon gemacht, falls nicht, kann ich Ihnen sagen: Es flößt Respekt ein. Meine Stimme als Laienrichterin zählt beim Urteil schließlich so viel wie die der Berufsrichter. Zu Beginn stand ich auf dem Podest, die eine Hand erhoben, in der anderen einen gelben Zettel mit dem Vereidigungstext, und las ab: „Ich schwöre, die Pflichten einer ehrenamtlichen Richterin (...) zu erfüllen, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen.“

Kleiner Exkurs: Ich hätte auch geloben statt schwören können, so wahr mir Gott helfe. Diese Alternative war aufgeführt. Die Option einer ehrenamtlichen Richterin dagegen, die musste ich improvisieren – es war nur die Rede vom ehrenamtlichen Richter. Aber um geschlechtergerechte Sprache soll es an dieser Stelle nicht gehen, also zurück zum Thema.

Als Schöffin muss man sich eine Meinung bilden. Die wirkt unmittelbar – mindestens auf das Leben der angeklagten Person. Da lässt sich eine Parallele zu politischen Entscheidungen ziehen, die auch stets eine ganze Menge von Menschen betreffen und im Idealfall ebenfalls nach bestem Wissen und Gewissen getroffen werden. Doch nicht nur Politikerinnen und Politiker entwickeln ständig Positionen zu den verschiedensten Themen, wir alle tun das. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mich strengt sie an, die tägliche Meinungsbildung. Wie finde ich die neuesten Regelungen zur Kontaktbeschränkung? Und wenn bald das große Impfen losgeht – will ich mich auch immunisieren lassen? Wie schätze ich die Details des Klimapakets ein? Und soll das große Bürogebäude um die Ecke auf St. Pauli gebaut werden? Einen klaren Standpunkt zu haben ist erstrebenswert, doch ihn sich zu erarbeiten kommt mir oft wie ein Vollzeitjob vor. Einer, für den man leider nicht bezahlt wird. Und wer hat schon die Zeit, sich zu all den kleinen und großen Entscheidungen des Lebens eine Meinung zu bilden? Es ist aufwändig, sich so fundiert zu informieren, dass mehr als ein Bauchgefühl dabei herauskommt.

Doch keine Meinung ist ja auch keine Lösung. Was ich mir deshalb wünsche, ist eine Vertrauensinstanz, die sich zu einem Thema schlau gemacht hat und über seine Vor- und Nachteile aufklärt. Nach bestem Wissen und Gewissen. Das Gute ist: So ein Konzept gibt es schon, anderswo wird es sogar bereits umgesetzt. BürgerInnenrat nennt sich das, Bündnis 90/Die Grünen haben gerade auf ihrem Parteitag beschlossen, es in ihr Grundsatzprogramm aufzunehmen. Menschen werden nach dem Zufallsprinzip in einen solchen Rat beordert und erarbeiten gemeinsam Empfehlungen zu Themen, die Gegenstand der Gesetzgebung sind. Ob nun Wirtschaftshilfen in Coronazeiten oder Glyphosatverbot, Klimapaket oder Kastenstand für Schweine.

Wie auch beim Konzept der Laienrichterinnen und -richter geht es darum, das Rechtssystem – in diesem Fall die Legislative – zu demokratisieren. Und das Vertrauen der Bevölkerung in die Instanzen zu stärken. Das könnten sie vertragen: Mehr als ein Drittel der Menschen ist unzufrieden damit, wie die Demokratie hierzulande funktioniert, im Osten des Landes ist es sogar die Hälfte. Und was wäre besser geeignet als direkte Beteiligung, um Menschen stärker und vor allem konkreter ins demokratische Geschehen einzubinden, als es Wahlen, Demonstrationen und Petitionen ermöglichen?

In Irland etwa existieren solche BürgerInnenräte bereits und haben nach intensiven Diskussionen zu mehreren Themen klare Positionen erarbeitet und Empfehlungen ausgesprochen. Man darf nicht vergessen: Hier sind Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen aufeinandergetroffen und haben sich mit so ideologisch aufgeladenen Themen wie Abtreibungsverbot und gleichgeschlechtlicher Ehe auseinandergesetzt. Bei den anschließenden Volksentscheiden wurden die Empfehlungen angenommen, das Verbot gekippt und die Ehe für alle eingeführt – mit überraschend deutlichen Mehrheiten. Auch im Vereinigten Königreich hat ein BürgerInnenrat kürzlich Pläne vorgestellt, wie das Land seine Klimaziele erreichen könne. Ein Laiengremium, das sich von Profis beraten lässt und Betroffene anhört, dessen Empfehlung nicht auf einem wutschnaubenden „Meinungsaustausch“ in den Kommentarspalten des Internets basiert – meine Hoffnung wäre, dass man solchen Räten mehr Vertrauen schenken kann, weil ihre Mitglieder sich von nichts leiten lassen außer von ihren persönlichen Meinungen: keine Parteiinteressen, kein Wahlkampf, kein Einfluss durch Lobbyisten. Vor allem aber, weil Ihnen die Zeit eingeräumt wird, sich gemeinsam und gründlich einen Standpunkt zu erarbeiten – Schwarmintelligenz im besten Sinne.

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Teresa Kraft
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