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Zeit für eine Rückschau auf das Jahr 2020. Sie beginnt in China. Nein, nicht was Sie jetzt denken. Dieses C-Dings unterliegt hier verschärften Kontaktbeschränkungen und darf nur unter strengen Auflagen erwähnt werden. Hier geht es heute fast ausschließlich um Frauen.

Da wäre zum Beispiel Ou Hongyi, Klimaaktivistin aus Guilin. Für sie war der Auslöser für die Beschäftigung mit dem Thema vor zwei Jahren der Film „Eine unbequeme Wahrheit“ des früheren US-Vizepräsidenten Al Gore. Im Mai 2019 begann sie dann, inspiriert von einer gewissen Greta Thunberg aus Schweden, immer freitags mit einem Pappschild vor dem Regierungsgebäude ihrer Heimatstadt zu stehen. Howey Ou, wie sie auf Twitter heißt, wurde von der Polizei verhört und immer wieder von Plätzen vertrieben, der Schule verwiesen und in den Medien totgeschwiegen, aber sie macht weiter. Heute ist ihr 18. Geburtstag, den sie vermutlich mit einer Ein-Frau-Demo begeht.

Aber noch ist sie in Freiheit. Im Gegensatz zu Loujain Hathloul. Die Aktivistin sitzt seit zwei Jahren in einem Gefängnis in Saudi-Arabien, weil sie unter anderem dafür gekämpft hatte, dass auch Frauen in dem Land Auto fahren dürfen. Obwohl das mittlerweile erlaubt ist, bleibt sie in Haft. Ebenso wie die unerschrockene iranische Menschenrechtsanwältin und Trägerin des diesjährigen Alternativen Nobelpreises Nasrin Sotudeh, verurteilt zu 33 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben.  

Inhaftiert ist auch Maria Kolesnikowa, ebenso wie Swetlana Tichanowskaja und Veronika Zepkalo eine Ikone der seit dem Sommer andauernden Proteste in Belarus. Tichanowskaja hätte Präsidentin werden müssen, wenn bei den Wahlen alles mit rechten Dingen zugegangen wäre. Stattdessen sah sie sich, wie auch Veronika Zepkalo, gezwungen, das Land zu verlassen. Aber die Menschen in Belarus protestieren trotz zunehmender Polizeigewalt jeden Sonntag weiter gegen Langzeitdiktator Alexander Lukaschenko, allen voran Frauen, oft weiß gekleidet und mit Blumen in der Hand.

Frauen wie die frühere Ministeriumsmitarbeiterin Marta Lempart und ihre Mistreiterinnen waren es, die in Polen wegen der geplanten Verschärfung des ohnehin restriktiven Abtreibungsrechts 2016 den Allpolnischen Frauenstreik (OSK) gründeten. Seit das polnische Verfassungsgericht Ende Oktober das Recht auf Abtreibung de facto für abgeschafft erklärt hat, gehen auch hier immer wieder Hunderttausende auf die Straße.

Jacinda Ardern hingegen braucht nicht zu demonstrieren. Sie hat eine Wahl gewonnen. Seit Oktober regiert die alte und neue Premierministerin Neuseeland. Trotz ihrer absoluten Mehrheit im Parlament hat die Sozialdemokratin mit den Grünen eine Kooperation vereinbart und ihnen zwei Ministerien angeboten. Weltberühmt wurde Ardern durch ihre Haltung nach dem Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch 2019 – und später durch ihr Corona-Management, eine Mischung aus hartem Durchgreifen und Empathie. Bislang hat das Land die Krise beneidenswert gut im Griff.

Regieren wird ab 20. Januar nächsten Jahres auch Kamala Harris, designierte Vizepräsidentin der USA und sowohl erste Frau als auch erster nichtweißer Mensch auf diesem Posten. Weiß aber war ihre Kleidung, als sie ein paar Tage nach der US-Wahl mit dem zukünftigen Präsidenten Joe Biden die Bühne betrat – eine Verneigung vor den Suffragetten, die für das Frauenwahlrecht gekämpft hatten. Zwar sei sie die erste, aber sicher nicht die letzte Frau in diesem Amt, sagte sie in ihrer Rede.

Es hat also, wie man sieht, in diesem Jahr auf der Welt nicht an mutigen und brillanten Frauen gefehlt. Höchstens an Hirn und Herz bei regierenden Betonköpfen und ihrem Gefolge. Und bei uns so? Immerhin sollen nun bald in allen mehr als dreiköpfigen Vorständen großer privater und öffentlicher Unternehmen Deutschlands Frauen sitzen, also: zumindest eine. Bei neun der 30 Dax-Konzerne, also fast einem Drittel, sind die Vorstände ausschließlich mit Männern besetzt. Meine Herren! Da kommt was auf Sie zu. Nämlich eine Frau für den jeweils Nächsten, dessen Mandat endet. Ich schätze, Sie, die Firma und das Land werden es verkraften.

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Unsere Autorin Kerstin Eitner blickt zurück auf das Jahr 2020 und sieht: Frauen
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Kerstin Eitner
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