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der heutige Titel klingt ein bisschen nach Horrorfilm, und das stimmt ja in gewisser Weise auch. Hatten wir nicht gedacht, Heizpilze würden zusammen mit ein paar anderen aberwitzigen Gerätschaften (Laubbläsern, Einweggrills, Plastikgeschirr) auf dem großen Sperrmüllhaufen mit der Aufschrift „Produkte, die die Welt nicht braucht“ landen? Aber nun bekommen sie eine zweite Chance als Retter der Außengastronomie, zumindest temporär. Denn es lässt sich nicht mehr leugnen, der Herbst ist da und auf den folgt gewöhnlich der Winter. Wer jetzt kein Bier hat, trinkt auch keines mehr, jedenfalls nicht draußen – und drinnen lauern die Aerosole. Theoretisch müsste regelmäßig durchgelüftet werden, dann wäre es selbst dort nicht mehr warm.

Also erlauben Kommunen wie zum Beispiel Tübingen, Frankfurt, Stuttgart, Essen, Hannover, Hamburg und einige Berliner Bezirke wieder, was sie aus Klimaschutzgründen schon mal verboten hatten. Dirk Messner, Chef des Umweltbundesamtes (UBA), findet das für eine Übergangszeit vertretbar, auch wenn es ihn nicht freut. Laut UBA stößt so ein gasbetriebener Heizpilz in einer Stunde durchschnittlich zweieinhalb Kilo CO2 aus. Aufs Jahr gerechnet etwa so viel wie ein Kleinwagen. Nun gibt es ja auch mit Strom betriebene Terrassenheizungen – was bei 100 Prozent Ökostrom zumindest besser fürs Klima wäre, aber so weit sind wir noch nicht.

Was tun? Während Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eine CO2-Kompensation wie beim Fliegen in die Debatte geworfen hat, geißeln Umweltverbände die Nutzung von Heizpilzen prinzipiell und propagieren stattdessen die gute alte Wolldecke. In manchen Ländern schwört man auf beheizbare Sitzkissen mit Akku, wobei der leider auch nicht ohne gelegentliche Energiezufuhr auskommt. Partyzelte oder Pavillons wären weitere Optionen. Es könnte bald so aussehen, als hätte jemand Iglus abgeworfen. Ohne Heizung wird es da drin allerdings auf Dauer auch recht frisch.

Aber ob all diese Maßnahmen es bei weiter sinkenden Temperaturen schaffen, die Gastronomie zu retten? Zweifelhaft. Immerhin, die Baumärkte freuen sich über den reißenden Absatz im Heizpilzsegment, dabei zählen die ohnehin schon zu den großen Gewinnern der Krise. Wir erinnern uns: Kita zu, Baumarkt geöffnet. Käme es zur flächendeckenden Ausrüstung von Klassenzimmern mit Heizpilzen, um das ständige Lüften erträglicher zu machen, dürfte es allerdings zu Lieferengpässen kommen. (Kleiner Tipp für Freunde der Goldwaage: Vorsicht Satire!)

Sagenhaft, was wir alles ersinnen, erlauben, erwägen, um die subjektiv als ewig empfundene, in Wirklichkeit aber wohl zeitlich begrenzte Corona-Periode zu überstehen. So viel Arbeit, Zeit und Geld werden investiert, und wann hätte die Wissenschaft je eine so wichtige Rolle gespielt? Man wünscht sich denselben Einsatz bei der Bekämpfung der Klimakrise, bloß bitte mit mehr Einigkeit zwischen Bund und Ländern und international sowieso. Mit einem Virus kann man zwar nicht verhandeln, mit dem Klima aber ebenso wenig, und die Folgen der Veränderungen werden viel dramatischer, teurer und vor allem langfristig und unumkehrbar sein.

Anfang dieser Woche ist die „Polarstern“ von ihrer Mosaic-Expedition in der Arktis zurückgekehrt. Dort herrscht Klimawandel im Zeitraffer. Die Crew habe „dem arktischen Meereis beim Sterben zugesehen“, berichtete Expeditionsleiter Markus Rex aus einer untergehenden Welt. Statt mehrjährigen Eises: weite Flächen offenen Wassers, fast bis zum Nordpol. In ein paar Jahrzehnten könnte das sommerliche Meereis komplett verschwunden sein. Seine Fläche ist seit den Achtzigerjahren um die Hälfte geschrumpft. Ein systemrelevantes Ökosystem, das vielleicht bald auf der Intensivstation liegt.

Das geschah und geschieht, während wir unter Heizpilzen von wärmeren Jahreszeiten träumen. Sehr warme Jahreszeiten könnten es werden, mit vielen nicht bestellten Überraschungen, die wir trotzdem bezahlen müssen. Besser gesagt: die nachfolgenden Generationen.

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Unsere Autorin Kerstin Eitner erinnert daran, dass man mit dem Klima nicht verhandeln kann
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Kerstin Eitner
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