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während ich noch darüber nachdenke, was es über ein Land erzählt, das zu Pandemiezeiten Museen schließt, aber Massenschlachtbetriebe offen hält, kommen mir Nachrichtenbilder aus dem Frühling in den Sinn.

Vielleicht erinnern Sie sich auch noch daran, wie dem sonst so genügsamen Arbeitsminister Hubertus Heil Anfang Mai der Kragen platzte. Als hätte der Sozialdemokrat zum ersten und nicht zum wahrscheinlich 163. Mal von den Zuständen in der deutschen Fleischindustrie gehört, wütete er im deutschen Bundestag: „Wir dürfen als Gesellschaft nicht weiter zugucken, wie Menschen aus Mittel- und Osteuropa in dieser Gesellschaft ausgebeutet werden.“ Bei Überprüfungen war herausgekommen, dass sich hunderte Billigarbeiter mit dem Corona-Virus infiziert hatten. Kein Wunder, arbeiteten sie doch tagsüber bei eisigen Temperaturen in schlecht belüfteten Hallen und schliefen nachts in Sammelunterkünften, die an die Massentierhaltung erinnern, aus der das Schlachtfleisch kommt. Das Gros der Arbeiter schuftete unter sklavenähnlichen Verträgen, die sie mit „Sub-Sub-Subunternehmern“ (Hubertus Heil) geschlossen hatten. Viele mussten sogar noch einen Teil ihrer kärglichen Einkünfte für die durchgelegenen Etagenbetten abgeben. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel war für ihre Verhältnisse geradezu außer sich: „Ich kann sagen, dass auch ich nicht zufrieden bin mit dem, was wir dort jetzt gesehen haben.“  Sozialdemokrat Hubertus Heil kündigte Großes an: „Wir werden aufräumen mit diesen Verhältnissen!“

Wochen vergingen und Hubertus Heil war immer noch sauer. Er werde „mit Werkverträgen und Leiharbeitern in der Schlachtbranche Schluss machen“ erklärte er im Bundestag. Ende Juli war sein Zorn noch immer nicht verraucht. Die „Arbeitsbedingungen und die Unterkünfte der Arbeiter in der Fleischindustrie“ seien „oft unterirdisch“, das Ganze „nicht länger hinnehmbar“. Bei der Diskussion um das längst überfällige Gesetz hatte die Union mittlerweile durchgesetzt, dass „Betriebe des Fleischerhandwerks mit bis zu 50 Beschäftigten“ von strengeren Auflagen ausgenommen bleiben. Sie sollten sich auch weiterhin mit Werkverträgen und Leiharbeit vor der Festanstellung und fairen Bezahlung ihrer Mitarbeiter drücken dürfen.

Der heiße August wehte vorüber, der September kam und Hubertus Heil war immer noch wütend. „Ich will in dieser Branche aufräumen“, erklärte er in einem Interview. Die „Ausbeutung von Menschen darf kein Geschäftsmodell sein“. Inzwischen ist es draußen beinahe schon wieder so kalt wie in den Schlachthallen. Noch immer geht es dort eng zu, die Stundenlöhne reichen nicht mal für zwei Würste an der Imbissbude. Und Hubertus Heil hat nichts von seiner Entschlossenheit eingebüßt: „Wir müssen den Sumpf in Teilen der Fleischindustrie mit diesem Gesetz richtig austrocknen und dürfen nicht den Versuchen der Lobbyisten nachgeben, Schlupflöcher in das Gesetz zu formulieren,“ erklärte er erst vor wenigen Tagen.  Bei seinem Koalitionspartner in der CDU/CSU denkt man inzwischen bereits an die nächst Grillsaison. Denn die sei „in Gefahr“, wenn man der Fleischindustrie jede Möglichkeit zur weiteren Ausbeutung ihrer Mitarbeiter nehmen würde. Eigentlich hätte in dieser Woche der Bundestag das Gesetz, von dem Hubertus Heil seit Monaten spricht, verabschieden sollen. Doch die Abstimmung wurde verschoben.  Und dann muss das Ganze ja auch noch durch den Bundesrat. Ob das 2021, im Wahljahr, noch etwas wird?

Mal schauen, wann Minister Heil das nächste Interview zu den Zuständen in der deutschen Fleischindustrie gibt. Bestimmt wird er wieder ganz furchtbar wütend sein, über das, was er dort sieht. Und ankündigen, dass er ganz ganz sicher, ganz ganz bald etwas dagegen tut.

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Unser Autor Fred Grimm wartet auf das Gesetz gegen Missstände in der Fleischindustrie
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Fred Grimm
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