Gemischte Gefühle

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gestern hat sie nun begonnen – die 28. Weltklimakonferenz im Öl-Emirat Dubai. Geleitet ausgerechnet von Sultan Ahmed al-Jaber, der auch dem staatlichen Ölkonzern der Vereinigten Arabischen Emirate, Adnoc, vorsteht.

Ein Ölboss als Chefverhandler der COP? Nichts ist unmöglich. Und dieser „personifizierte Interessenkonflikt“, wie die Kolleginnen und Kollegen vom Spiegel al-Jaber nennen, hat Anfang der Woche bereits einen Skandal produziert. Die BBC und das Netzwerk Center for Climate Reporting berichteten über geleakte Dokumente, die darauf hindeuten, dass al-Jabers Team in den vergangenen Monaten Vorbereitungstreffen mit fast dreißig Regierungen auch zur Erörterung möglicher Gas- und Öldeals nutzen wollte. Wie oft fossile Projekte tatsächlich zur Sprache kamen, war nicht zu recherchieren. Und Al-Jaber wies die Vorwürfe entschieden zurück.

Was löst diese Nachricht in Ihnen aus? Wut? Frust? Befürchtungen?

Eine gute Nachricht gab es zu Beginn der Konferenz gestern überraschend dennoch: Deutschland und die Vereinigten Arabischen Emirate sagten je 100 Millionen Dollar für den Ausgleich von Klimaschäden in besonders verwundbaren Staaten zu. Andere Länder schlossen sich an. Damit fließt erstmals Geld in den im vergangenen Jahr beschlossenen Katastrophenfonds und er wird arbeitsfähig. Ein Durchbruch!

Und was empfinden Sie nun angesichts dieser Nachricht? Vorsichtige Hoffnung vielleicht?

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Für mich ist das Leben in Zeiten der Klimakrise eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Je nach Tagesform und Nachrichtenlage bewege ich mich zwischen vagem Hoffen und verzweifeltem Bangen, zwischen Zuversicht und Angst. Angesichts der Größe des Problems und des sich rapide schließenden Zeitfensters überwiegt aber – ganz klar – die Sorge.

Bis vor wenigen Jahren waren Begriffe wie „Klimaangst“ und „Ökotrauer“ noch eher exotisch. Und wer dergleichen fühlte, fand sich selbst vielleicht ein wenig übersensibel und sprach nicht unbedingt offen darüber. Mit den sichtbaren Spuren der Krisen von Natur und Klima aber, mit dem Sterben der Arten und der Verödung von Landschaften, mit dem Wachsen der Plastikberge und dem Schrumpfen des Meereises, mit dem Austrocknen der Flüsse und dem Tod der Fichten, mit all dem vermehrt sich auch das Unbehagen daran. Die echte Welt da draußen – die „richtige“ Realität jenseits unserer Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme, jenseits aller Ideologien und virtuellen Räume – sie ist nicht länger stabil.

Studien weltweit zeigen, dass insbesondere Kinder und junge Menschen stark unter der Unsicherheit leiden. Und eine aktuelle Google-Auswertung für die britischen BBC verzeichnet, dass es Suchanfragen rings um die englischen Begriffe „climate anxiety“ und „eco-anxiety“, Klima- und Ökoangst, in den ersten zehn Monaten dieses Jahres 27-mal häufiger gab als im gleichen Zeitraum 2017.

Klimaangst – diskreditierend von bestimmten Kreisen immer noch mit dem Unwort des Jahres 2019 „Klimahysterie“ verhöhnt –, ist das wahrscheinlich prominenteste „Ökogefühl“. Aber vermutlich ist Angst medial überrepräsentiert. Lea Dohm, Mitgründerin der Psychologists for Future, erklärte mir kürzlich, dass auch Wut ein sehr häufiges Klimagefühl sei. Paradoxerweise finde ich das fast schon beruhigend. Denn Angst lähmt, Wut aber reimt sich wohl nicht umsonst auf Mut.

Wir vom Greenpeace Magazin fanden es jedenfalls höchste Zeit, uns ausführlich mit dem Thema Ökogefühle zu beschäftigen. In unserer neuen Ausgabe, die ab sofort für Sie im gut sortierten Bahnhofskiosk liegt und auch hier bestellt werden kann, erzählen viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens von ihren Gefühlen im Angesicht der Krise. Es geht um Wut, Panik, Sorge und – ja, natürlich auch Hoffnung. Die Sängerin Zoe Wees zum Beispiel ist sauer, der Schauspieler Wilson Gonzalez Ochsenknecht traurig und die Schriftstellerin Cornelia Funke engagiert.

Wir haben außerdem Fotografinnen und Fotografen dazu eingeladen, besondere Glücksmomente in der Natur mit uns zu teilen. In einem Essay ergründe ich, was genau es mit mir macht, ein Stück geliebter Natur zu verlieren. Meine Kollegen Wolfgang Hassenstein und Thomas Merten sprechen mit dem Politikwissenschaftler Jérémie Gagné darüber, warum die Klimabewegung an Rückhalt einbüßt und was jetzt gegen die Spaltung der Gesellschaft helfen könnte. Ihre Frage: „Woher kommt der Hass, Herr Gagné?“ 

Wir dokumentieren die ökologische Seelenlage der Nation in Zahlen, erklären die spirituelle Verbindung indigener Menschen zur Natur und berichten, wie es sich für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anfühlt, jeden Tag mit beunruhigenden Daten umzugehen. Zu guter Letzt geben wir Tipps, was gegen die Ohnmacht hilft und sind gespannt auf ein Gedankenexperiment, das wir mit Ihnen vorhaben: Es handelt sich um eine kleine Zeitreise. Mehr dazu – natürlich – im neuen Greenpeace Magazin.

Manchmal ist es ja nicht so einfach, über Gefühle zu reden – oder auch nur zu lesen. Wem dieses Thema suspekt ist, der oder die kann einfach weiter blättern in unserem „Teil 2“. Dort findet sich diesmal unter anderem eine Reportage über den Export in Deutschland längst verbotener Pestizide nach Afrika, eine praktische Anleitung zum Reisen mit dem Nachtzug, einen bildgewaltigen Ausflug ins geheime Reich der Pilze und das Porträt eines jungen Philosophieprofessors aus Japan, der als Öko-Marxist populär wurde.

Ich wünsche Ihnen ein möglichst sorgenfreies Wochenende!

Wenn Sie mögen, leiten Sie diese Wochenauslese gern weiter. Abonnieren können Sie sie übrigens hier. Und wenn Sie auch unsere Presseschau zu Umwelt- und Klimathemen lesen möchten, können Sie sich hier dafür anmelden – dann halten wir Sie montags bis freitags auf dem Laufenden. Wir freuen uns, wenn Sie dabei sind!

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Redakteurin Katja Morgenthaler präsentiert das neue Greenpeace Magazin
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Im Allgemeinen nützlich

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wer regelmäßig die Nachrichten verfolgt, mag mit Grausen auf die politische Situation in vielen Ländern blicken und sich freuen, im eigenen Land eine aktive, gut organisierte und sogar steuerlich begünstigte Zivilgesellschaft zu haben, die sich für Menschenrechte und Umweltschutz, gegen Rechtsextremismus und für eine lebendige Demokratie engagiert.

Doch seit Jahren findet, meist eher hinter den Kulissen, ein zähes Ringen vieler Initiativen um ihre Gemeinnützigkeit statt, und es kommt gar nicht so selten vor, dass sie in diesem Kampf unterliegen – erst gegen das zuständige Finanzamt, das darüber entscheidet, und dann vielleicht auch vor Gericht. Dabei kann die Steuerabzugsfähigkeit von Spenden, Grundpfeiler der Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen (NROs), über deren Sein oder Nichtsein entscheiden.

Die globalisierungskritische Organisation Attac erwischte es 2014. Nach mehreren Jahren juristischen Ping-Pongs befand der Bundesfinanzhof 2019: „Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung ist kein eigenständiger gemeinnütziger Zweck im Sinne von § 52 der Abgabenordnung.“ Nun liegt der Fall beim Bundesverfassungsgericht.

Campact, Change.org (später innn.it), die Bundesvereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) –  die Liste wurde länger. Seit Januar 2022 müssen gemeinnützige Organisationen im Sinne „geistiger Offenheit“ zudem immer alle Seiten zu Wort kommen lassen. Politische Bildung dürfe nicht darauf abzielen, „die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen“.

Nur zu gern nutzen Rechtsextreme wie die AfD das aus, zeigen unliebsame Initiativen bei den zuständigen Finanzämtern an oder stellen entsprechende Anträge auf Bundes- und Landesebene. So büßte das Demokratische Zentrum Ludwigsburg seinen gemeinnützigen Status vorübergehend ein, weil es Rechtsradikalen den Zugang zu seinen Veranstaltungen verwehrt hatte. Auch die Naturfreunde Thüringen rangen ein Jahr lang mit dem Finanzamt, weil sie sich gemäß ihrer Satzung auch für Demokratie und Toleranz eingesetzt hatten, zum Beispiel nach der Wahl des FDP-Manns Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD.

Die Gemeinnützigkeit wankt auch, wenn Plattformen wie innn.it kostenlose Petitionen gegen Unternehmen auf ihre Website stellen. Entweder löschen oder Gebühren erheben, forderte das Berliner Finanzamt Ende letzten Jahres. Die NRO reichte Klage ein. 2018 kam die CDU auf die glorreiche Idee, der Deutschen Umwelthilfe die Gemeinnützigkeit abzuerkennen (es ging um Dieselverbote in deutschen Städten). Auch Greenpeace, der BUND und andere Umweltschutzorganisationen müssen immer mal wieder um ihren Status bangen. Als könnte man Umweltschutz völlig losgelöst von aller Politik betreiben.

Der Thinktank „Zivilgesellschaft in Zahlen“ (ZiviZ) hat ermittelt, dass sich fünf Prozent der zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Sorge um ihre Gemeinnützigkeit nicht politisch beteiligen, also Selbstzensur üben. Fünf Prozent, das klingt wenig, es sind aber immerhin 30.000 Vereine.

Handwerk hat goldenen Boden

Es braucht also dringend eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts. Die Ampel hat das im Koalitionsvertrag auch vereinbart. Bloß ist leider bislang nichts geschehen, obwohl ja, wie der für dieses Vorhaben verantwortliche Finanzminister Christian Lindner, FDP, es gerade so schön formulierte, in der Regierung „gehämmert und geschraubt“ werde.

Nur leider an den falschen Stellen. Das Bundesinnenministerium nämlich will, so steht es in seinem Haushaltsplan, die Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) um 20 Millionen Euro kürzen, von 96 auf 76 Millionen Euro. Könnte mir bitte mal jemand erklären, wie man so die Demokratieförderung stärken will?

Statt des Parteichefs ist diese Woche dann der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr in den Hobbykeller hinabgestiegen, und bevor ihm Lindner noch hinterherrufen konnte: „Denk an die Schalldämpfer!“, kam Dürr mit einem verstaubten, mit Spinnweben überzogenen und halb zerlegtenAtomkraftwerk wieder ans Tageslicht und verkündete, seine Partei werde über einen Stopp des Rückbaus der „noch funktionierenden Kernkraftwerke“ beraten.

Ob sich die FDP wohl mit dem Netzwerk „Replanet“ zusammenschließt, das, angeführt von der 18-jährigen schwedischen Aktivistin Ia Anstoot, sich für Atomkraft einsetzt und gegen Greenpeace protestiert? Wobei die Regierung in ihrem Heimatland gerade geschwind ein Statement der Umwelt- und Klimaschutzministerin Romina Pourmokhtari von der Website des Ministeriums entfernen ließ, in dem es geheißen hatte, Schweden wolle bis 2040 „mindestens zehn Reaktoren“ bauen. So ein Ziel gebe es nicht, erklärte ein anderer Regierungsvertreter.

Wir hämmern und schrauben kommende Woche die nächste Ausgabe des Greenpeace Magazins zusammen. Mal sehen, ob danach was Neues aus der Ampelwerkstatt gekommen ist. Ein Gesetzentwurf für ein neues Gemeinnützigkeitsrecht wäre doch mal ein hübsches Werkstück.

Ich wünsche Ihnen schöne goldene Spätsommer- oder Frühherbsttage!

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Redakteurin Kerstin Eitner würde sich über ein renoviertes Gemeinnützigkeitsrecht freuen
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Kerstin Eitner
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