Alles Gute zum Geburtstag!

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im thüringischen Saale-Orla-Kreis wird jetzt der Herrgott Landrat. Der Christian Herrgott von der CDU. Und das ist auch gut so, um mal einen einst ziemlich berühmten SPD-Mann zu bemühen. Denn wäre Herrgott letzten Sonntag nicht in der Stichwahl mit 52,4 Prozent der Stimmen gewählt worden, dann hieße der Landrat jetzt Uwe Thrum. Der ist von der AfD und hatte im ersten Wahlgang noch zwölf Prozentpunkte vor dem zweitplatzierten CDU-Mann gelegen.

Doch dann geschah das – aus Sicht der AfD – Ungeheure: Eine breite Mobilisierungswelle aus Zivilgesellschaft und demokratischen Parteien verhinderte den Sieg des rechtsextremen Kandidaten. Der habe „gegen alle kämpfen“ müssen, hieß es etwas weinerlich in einem Statement seiner Partei: „Altparteien, die Konzernmedien, den öffentlichen Rundfunk, staatlich finanzierte Kampagnenagenturen, Arbeitgeber, Kirchen, Gewerkschaften, bestellte Demonstrationen…“

Wo die AfD ausnahmsweise mal recht hat, da hat sie recht. Nur dass man sich den Verschwörungsduktus wegdenken, bei den Demonstrationen das Wort „bestellt“ streichen und „Kampagnenagenturen“ in „NGOs“ übersetzen muss, die ihre Aktivitäten zum allergrößten Teil oder ausschließlich aus Spenden finanzieren. Wie zum Beispiel die Organisation Campact, die Online-Kampagnen initiiert, eine Petitionsplattform betreibt, zu Demos aufruft und auch mit Anzeigen oder Plakataktionen für ihre Anliegen mobilisiert. Motto diesmal: „Braun mag ich nur meine Bratwurst“, illustriert mit einer aufgespießten Original Thüringer.

Zwar können nicht alle zum Demonstrieren in den Saale-Orla-Kreis fahren geschweige denn dort abstimmen, aber man konnte die Plakatkampagne auch aus der Ferne finanziell unterstützen. Habe ich gemacht und mich damit zum allerersten Mal in meinem Leben, wenn auch indirekt, für einen CDU-Kandidaten eingesetzt. So was kann erstaunlich gut klappen, wie sich etwa bei der Oberbürgermeisterwahl in Nordhausen letzten September gezeigt hat – da gewann ein parteiloser Kandidat.

Es gibt überhaupt allerhand, was man tun kann, um die Demokratie zu verteidigen und sich der vielleicht gar nicht so unaufhaltsamen rechten Welle entgegenzustemmen. Demonstriert haben ja mittlerweile Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen in den Wochen nach den Enthüllungen der Rechercheplattform Correctiv – das Treffen, über das sie berichtete, war übrigens nicht das Erste seiner Art. Großartig, dass auch in kleineren Städten und Gemeinden im Osten des Landes immer wieder Menschen den Mut aufbringen, auf die Straße zu gehen, obwohl (oder weil) an ihrem Wohnort die AfD dominiert, Hass, Hetze und Bedrohungen gedeihen.

Der Souverän wird eine Weile durchhalten müssen, um den Rechten klarzumachen: Damit ihr es wisst, wir sind das Volk, und wir sind viel mehr als ihr. Saale-Orla-Kreis ist überall. Deshalb ist es wichtig, in Scharen an die Wahlurnen zu eilen, wann und wo auch immer dazu aufgerufen wird, lokal, regional, international: in den jeweiligen Bundesländern zu Kreistags-, Gemeinde-, Stadtrats- oder Landtagswahlen, und natürlich zu den Europawahlen, um die EU-Abschaffer auszubremsen. Ich weiß, Sie gehen sowieso hin, aber ich werde sicherheitshalber beizeiten daran erinnern.

Gutes Stichwort: Wir sollten auch unsere Staatsdiener und Staatsdienerinnen mit Nachdruck erinnern, dass jetzt allerhöchste Zeit ist, dem Treiben von AfD und Co. politisch und juristisch Einhalt zu gebieten. Durch einen Parteiverbotsantrag beispielsweise. Oder Verbote von Landesverbänden oder anderen Unterorganisationen.

Oder durch politische Betätigungsverbote nach Artikel 18 Grundgesetz für Einzelpersonen wie etwa Björn Höcke – am Mittwoch konnte unter anderem Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann die rund 1,67 Millionen Unterschriften einer Online-Petition mit dieser Forderung in Empfang nehmen. Außerdem wäre es geboten, das Verfassungsgericht mittels einer Grundgesetzänderung wasserfest gegen Übergriffe von Rechtsextremen zu machen – eine Idee, mit der sich offenbar auch die CDU/CSU anfreunden kann.

Sie sehen, es gäbe eine hübsche Auswahl an Geschenken zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes in diesem Jahr. Aber sie sollten bald bereitliegen. Denn wie sagte doch am Mittwoch die Holocaust-Überlebende Eva Szepesi im Bundestag: „Die Shoah begann nicht mit Auschwitz. Sie begann mit Worten. Sie begann mit dem Schweigen und dem Wegschauen der Gesellschaft.“ 

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Redakteurin Kerstin Eitner wüsste was Passendes zum 75. Jubiläum des Grundgesetzes
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Werte Gemeinschaft!

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dieser Tage unterblieb so einiges: der endgültige Abschied von Öl und Gas auf dem 27. UN-Klimagipfel zum Beispiel, ebenso wie konkrete Verpflichtungen zum finanziellen Ausgleich für klimabedingte Schäden und Verluste in ärmeren Ländern durch die Verursacher oder zur Reduzierung von Treibhausgasen. Rationale, nachvollziehbare und halbwegs humane Entscheidungen beim neuen Twitter-Besitzer Elon Musk. Eine One-Love-Armbinde am Oberarm des deutschen Mannschaftskapitäns Manuel Neuer bei der Fi-Fa-Fußball-WM auf Geheiß jener korrupten und geldgierigen Bande, die den Weltfußball besitzt. Rückhaltlose Begeisterung für ebendiese WM. Die iranische Fußballmannschaft unterließ das Mitsingen bei der Nationalhymne und erntete viel Lob für ihre Haltung.

Derzeit ist wieder viel von „unseren westlichen Werten“ die Rede, denen bitte die ganze Welt umgehend zu folgen hat, weil wir sonst…äh…leider doch weiterhin allerlei Produkte, Rohstoffe und fossile Energien bei Diktatoren, Autokraten und Ausbeutern bestellen, denen wir andererseits gern auch unsere eigenen Erzeugnisse verkaufen, noch ein Viertelpfund kritische Infrastruktur drauflegen und das per Handschlag besiegeln. Was willst du schließlich auch machen, normative Kraft des Faktischen und so.

Faktisch ist es zweifellos richtig und geboten, die schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen von Wanderarbeitern, die Unterdrückung von Frauen, Repressalien gegen ethnische Minderheiten und alles, was in irgendeiner Form queer zur herrschenden Sexualmoral steht, anzuprangern, aber wir sollten uns schon mal fragen, ob wir uns zu den Guten zählen dürfen. Wanderarbeiter und -arbeiterinnen hießen bei uns früher „Gastarbeiter“, hatten schwere und dreckige Arbeit zu verrichten und ansonsten nichts zu melden. Arbeitswillige schaffen es heute oft nicht einmal mehr bis nach Deutschland, weil sie vorher im Mittelmeer ertrinken oder in elenden Lagern im Nirgendwo stranden. Auch Arbeitskräfte aus EU-Ländern sind nicht auf Rosen gebettet, man denke an die Skandale um Unterbringung und Arbeitsbedingungen von Menschen aus Rumänien oder Bulgarien während der Corona-Pandemie, etwa in Schlachtbetrieben.

Frauen sind bei uns zwar laut Grundgesetz gleichberechtigt, aber der Gender Pay Gap existiert nach wie vor, in Firmenvorständen und Aufsichtsräten herrscht alles andere als Parität, und Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit 1997 ein Straftatbestand (die 138 Nein-Stimmen stammten von Abgeordneten aus CSU, CDU und FDP, übrigens auch von Friedrich Merz). Die Ehe für alle gibt es seit gerade mal fünf Jahren, und die LGBTQ-Community, aller Regenbogenfolklore zum Trotz, trifft längst nicht überall auf Toleranz. Im Gegenteil: Wer erkennbar dazugehört, muss mit gewalttätigen Übergriffen rechnen, die auch tödlich enden können. Rassismus und Antisemitismus gehören ebenso wenig einer finsteren Vergangenheit an, sondern sind traurige Gegenwart.

Das indiskutable und unsensible Verhalten von Politik, Ermittlern und Behörden im Fall Murat Kurnaz, gegenüber den Angehörigen der Opfer des NSU oder nach den Anschlägen von Hanau und Halle: keine bedauerlichen Einzelfälle, sondern deutsche Tradition. Wenn in Sonntagsreden immer wieder „unsere Werte“ beschworen werden, warum bittet dann niemand die Betroffenen offiziell und in aller Form um Verzeihung?

Wenn der Staat schon mal dabei ist, könnte er sich ruhig auch bei allen Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern entschuldigen, die Missstände in Unternehmen, Finanz- und Arbeitsämtern, Pflegeheimen und Apotheken öffentlich angeprangert haben und dafür nicht gelobt, sondern gemobbt, entlassen und psychisch zermürbt wurden. Da fällt mir ein: Wie wäre es denn mit Asyl für Edward Snowden, der nicht zum Vergnügen in Moskau hockt und die russische Staatsbürgerschaft angenommen hat, und Julian Assange, dem in den USA eine Haftstrafe von 175 Jahren droht?

Bleibenlassen mag ja mitunter ganz gut sein für die CO2-Bilanz (rasen, reisen, rödeln) und das Nervenkostüm, aber oft hilft nur entschlossenes Handeln. Besser spät als nie, aber noch besser früh genug. Denn, Sie wissen schon: unsere Werte. Gleichheitsprinzip, Rechtsstaatlichkeit, Presse- und Meinungsfreiheit. Solidarität, Empathie, Mut und Haltung.

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Unsere Redakteurin Kerstin Eitner findet Unterlassen mitunter gut, Handeln aber oft besser
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