My home is my castle

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ach, wie schön ist es doch zu Hause! Das ist jetzt kein Zynismus angesichts verlängerter Corona-Maßnahmen, sondern ein ehrlich gemeinter Stoßseufzer. Einen Teil der ersten Januarhälfte habe ich nämlich im Krankenhaus verbracht und die Wochen um Weihnachten und Silvester herum in Bangen und Unbehagen. Was auch nichts mit Corona, sondern mit einem bösartigen Biopsie-Befund im Kiefer zu tun hatte und mich schließlich in eine Fachklinik in Münster führte.

Jedoch: So gründlich man mich dort durch die Untersuchungsmühle drehte, von außen und innen inspizierte, wach und unter Vollnarkose, es war weiter nichts zu finden. Alles schon bei der Biopsie entfernt. Und so blieb von der größeren OP mit längerem Krankenhausaufenthalt vorläufig nur die Entfernung eines wackligen Zahns, ein Tribut an höhere Mächte, die mir diesmal ausnahmsweise gewogen waren.

Den Sturm aufs Kapitol in Washington verfolgte ich auf einem Minibildschirm in der Klinik, ebenso entsetzt wie meine Zimmergenossin – wie der Zufall es wollte, eine US-Amerikanerin der netten Sorte. Tags darauf, als in Washington schon das Aufräumen begonnen hatte, wehte der Arzt herein und überbrachte zweimal gute Nachrichten. Unsere eher gedämpfte Stimmung verwandelte sich umgehend in zweimal beste Laune. Wir durften nach Hause!

Zu Hause verfolgte ich dann auf einem etwas größeren Bildschirm, wie der älteste Präsident in der Geschichte der USA seinen Amtseid leistete. Wie es aussieht, legt Joe Biden allerdings beim Rückabwickeln von Gesetzen der vorigen Regierung und dem Bestreben, sein Land umwelt- und sozialpolitisch ins 21. Jahrhundert zu führen, ein schwindelerregendes Tempo vor. Erneuter Beitritt zum Pariser Klimaabkommen und zur Weltgesundheitsorganisation, Baustopp für den Mauerbau an der Grenze zu Mexiko und für die Keystone-XL-Ölpipeline und vieles mehr, alles schon am ersten Arbeitstag eingetütet. Mehr zur US-Wahl und den Herausforderungen für Bidens Team im sehr lesenswerten Beitrag meines Kollegen Fred Grimm auf unserer Website (siehe unten).

Allerhand Baustellen stammen aus der Ära des menschgewordenen Auffahrunfalls aus der Familie Drumpf – so hießen die aus Kallstadt in der Pfalz stammenden Vorfahren des orangefarbenen Berserkers, der jetzt sicher in Florida wütend auf Golfbälle eindrischt. Vielleicht steckt er aber auch bald, wie der Schauspieler George Clooney kürzlich mutmaßte, „in einem Overall, der zu seiner Hautfarbe passt“ (die in den USA übliche Gefängniskleidung ist orange).

Aber da wären noch ein paar weitere Kleinigkeiten: Viele Amerikaner*innen halten eine Krankenversicherung für Sozialismus, sprich Teufelswerk; die Infrastruktur des Landes zerbröselt, die Lebenserwartung sinkt, und im reichsten Land der Welt gibt es nicht wenige Menschen, die hungern. Anständig bezahlte Jobs und menschenwürdige Behausungen wären ein schöner Anfang, um die schärfsten Kanten der sozialen Schieflagen in der amerikanischen Gesellschaft abzuschleifen.

Auch hierzulande wurde ja gewählt, wenn auch bislang nur bei der CDU. Deren neuem Chef Armin Laschet ist zum Thema Klima leider nur „gutes Klima für Unternehmergeist und Innovation“ eingefallen. Ansonsten geht es hierzulande derzeit mehr um Impf- als um Klimaschutz und darum, ob Geimpfte „Privilegien“ genießen sollten. Das scheinen mir doch ungelegte Eier zu sein. Ich halte es für nicht sehr wahrscheinlich, dass die wenigen bislang geimpften Achtzig- und Neunzigjährigen an den Gittern der verrammelten Läden, Kneipen und Clubs rütteln und rufen: Ich will hier rein!

Über das weitere Schicksal unserer anderen Probleme – Agrar-, Energie- und Verkehrswende und Rettung der Artenvielfalt, um nur einige zu nennen – entscheidet im Lauf des Jahres der Ausgang mehrerer Landtagswahlen und die Bundestagswahl. Ende September wissen wir mehr. Dann sollten wir erstens eine neue Regierung und zweitens hoffentlich einen innen und außen intakten Reichstag haben.

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Unsere Autorin Kerstin Eitner findet: Das Jahr 2021 fängt besser an als erwartet
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Respekt ist der Schlüssel

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Die Weltgeschichte hat manchmal einen merkwürdigen Sinn für Pointen. Zur gleichen Zeit, als Trumps rechtsradikale Truppen das Capitol in Washington stürmten, meldeten die Nachrichtenagenturen, dass Jon Ossof, der junge Kandidat der Demokraten, bei der Auszählung genug Stimmen gesammelt hatte, um als Sieger der Senatsnachwahlen in Georgia ausgerufen zu werden. Mit ihm und Raphael Warnock, der den zweiten Senatssitz in der einstigen Republikaner-Hochburg gewann, erreichten die Demokraten doch noch die Mehrheit im Senat, der entscheidenden Kammer im US-Kongress. Ohne diese wäre die überfällige Wende der amerikanischen Politik auch unter einem neuen Präsidenten Joe Biden sehr viel schwerer geworden – der Wiedereintritt in das Pariser Klimaschutzabkommen zum Beispiel.

Die Gleichzeitigkeit von Ossofs Sieg und dem gescheiterten Putschversuch illustriert auf dramatische Weise die Fragilität und die wunderbare Kraft der Demokratie. Im komplizierten Alltag der parlamentarischen Demokratie hierzulande, mit all ihren Schwächen, den verdeckten Lobbyeinflüssen und ihrer erschöpften Sprache, vergessen wir manchmal, was für eine atemberaubende Idee eigentlich dahinter steckt.

Die 1948 von der Generalversammlung der gerade gegründeten Vereinten Nationen verabschiedete „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ beschreibt diese gleich in Artikel 1 in nüchternen, kraftvollen Worten: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ Artikel 21 ergänzt: „Jeder hat das Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter mitzuwirken.“ Im Einsatz für das Recht, über die eigenen Geschicke mit zu entscheiden – egal, woran man glaubt, wie man aussieht, welches Geschlecht oder wie viel Geld man hat – sind hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen gestorben. Man muss diesen demokratischen Kerngedanken immer wieder mal zu Ende denken, weil in ihm eine Haltung zur Welt steckt, die letztlich unser gesamtes Handeln bestimmen sollte. Denn ihm liegt neben der Achtung für alle Menschen der universelle Respekt für das Leben und die Vielfalt zugrunde, ohne den es keine Umweltbewegung geben würde.  

Aus dem Bundesstaat Georgia, wo sich diese Woche dank der Senatsnachwahlen von Jon Ossof und Raphael Warnock die Zukunft der USA (hoffentlich) zum Besseren gewendet hat, kommt mit John Lewis eine der legendären Figuren der Bürgerrechtsbewegung. Lewis, der, von Freunden wie von politischen Gegnern betrauert, vergangenen Juli starb, kämpfte Zeit seines Lebens für die Gleichberechtigung der Schwarzen und anderer Minderheiten. Von seiner nimmermüden Arbeit für ihr Wahlrecht und ihr politisches Engagement führt eine direkte Linie zu den Aktivistinnen und Aktivisten rund um die eindrucksvolle Stacey Abrams, die in den vergangenen Wochen unablässig in den vergessenen Gegenden Georgias Wähler registriert und Wahlhindernisse ausgeräumt haben – gegen das traurige Mantra der vielen, ihre einzelne Stimme könne ja doch nichts ändern. Dass letztlich aber eben doch Menschen wie die allein erziehende Supermarktkassiererin aus Atlanta, der Bauarbeiter aus Savannah, die vietnamesischstämmige Küchenhilfe, der junge Klimakämpfer und Erstwähler oder der schwarze ehemalige Landarbeiter, der noch erinnert, wie es war, als Männer wie er die Toilettenräume für Weiße nicht benutzen durften, mit ihren Wahlzetteln die hässliche Herrschaft der Trump’schen Republikaner beendet haben, zeigt die ungebrochene Kraft der demokratischen Idee.  

Demokratie sei kein Zustand, hatte der Bürgerrechtler John Lewis in seinem letzten Essay angemahnt, der vergangenes Jahr kurz nach seinem Tod erschien. „Demokratie ist Handeln.“  

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein handlungsstarkes und gesundes Neues Jahr!

 

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Unser Autor Fred Grimm über die Fragilität und den Zauber der Demokratie
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Fred Grimm
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Jahr mit Murmeltiertagen

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Sie kennen vielleicht die Filmkomödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ aus dem Jahr 1993. Darin spielt Bill Murray den TV-Wetteransager Phil Connors, einen arroganten Griesgram, der aus dem Kaff Punxsutawney im US-Bundesstaat Pennsylvania über den „Groundhog Day“, den Murmeltiertag, berichten soll und dort in einer Zeitschleife festhängt.

Ort und Tag gibt es wirklich. Man begeht ihn – auch andernorts – am 2. Februar. Unter großer öffentlicher Anteilnahme wird ein Murmeltier zum ersten Mal nach dem Winterschlaf aus seinem Bau gelockt, um Aufschluss über den weiteren Verlauf des Winterwetters zu geben. Einer alten Bauernregel zufolge wird der Winter noch sechs Wochen dauern, wenn das Tier „seinen Schatten sieht“, wenn also die Sonne scheint. Im Film erlebt Murray/Connors den 2. Februar immer wieder, was aber außer ihm niemand bemerkt. Der Tag beginnt immer damit, dass sein Radiowecker „I Got You Babe“ dudelt, einen alten Hit von Sonny & Cher.

Bot nicht dieses seltsame Jahr 2020 reichlich Zeitschleifenmomente? Das Corona-Virus bescherte uns diese erstmals ab März. Alles geschlossen oder abgesagt, Schulen, Kindergärten, Läden, Kneipen, Restaurants, Kinos, Museen, Messen, Veranstaltungen, Fußballspiele, Konzerte. Grenzen wurden dichtgemacht, Firmen schlossen, viele Menschen arbeiteten ab sofort im Homeoffice, wenn irgend möglich. Schließlich konnte man ja auch die Kinder nicht einfach sich selbst überlassen, und so bekamen Eltern neben ihrem Erst- noch einen Zweitjob als Lehrerin oder Erzieher. Am nächsten Tag dasselbe, und am übernächsten, und am überübernächsten…

Dann kam der Sommer, die erste Infektionswelle ebbte ab, und auf Café- und Restaurantterrassen, in Parks, auf Straßen und Plätzen und in den überfüllten heimischen Urlaubsregionen herrschte sorgloses Treiben. Leute fanden es lustig, sich in Bars als „Donald Duck“ zu registrieren, Open-Air-Trinkgelage oder große Hochzeiten zu feiern. Endlich frei!

Von wegen. Jetzt ist alles wieder wie gehabt, bloß mit schlechtem Wetter. Auf das Weihnachtsoratorium – Fest der Familie! Lockerungen ante portas! Hochamt des Konsums! Kauft, was die Brieftasche hergibt! Aber immer schön die AHA-Regeln beachten und querlüften! –, folgte der Winterblues. Wer sich nun murmeltierartig verkriechen möchte: Bitte sehr, aber nur mit Personen aus einem Haushalt.

Weitere Zeitschleifen bescherte uns die US-Wahl. Fehlte gerade noch, dass man morgens von Sonny & Cher geweckt worden wäre. Erst wurde also gewählt und dann gezählt. Sie zählten und zählten, die im Wahllokal abgegebenen wie die Briefwahlstimmen, und dann zählten sie noch mal, weil der amtierende Präsident die Ergebnisse anzweifelte und Twittergewitter losließ. Eine Ewigkeit stand das Zwischenergebnis wie einbetoniert bei 254 zu 216 für den Herausforderer, nichts bewegte sich außer dem CNN-Zahlenvirtuosen John King, der auf seiner magischen Wand Bundesstaaten herumschob, Wahlbezirke umkringelte und zwischendurch Bemerkungen einflocht wie: Nein, der Präsident könne nicht anordnen, dass die Auszählung gestoppt werde, man sei ja nicht in Belarus.

Im Film verändert der Stinkstiefel Phil Connors sich fast unmerklich, und so war es auch hier. Eines Tages kletterte die Zahl der eroberten Wahlleutestimmen für den demokratischen Kandidaten Joe Biden über die kritische Schwelle von 270, und das war es oder wäre es gewesen, hätte nicht der Amtierende die Weise „Joe, du hast die Wahl gestohlen, gib sie wieder her“ angestimmt, die er in verschiedenen Tonarten und Lautstärken bis heute singt. Diverse Gerichte von Bundesstaaten mochten nicht mit einstimmen, auch dem Supreme Court gefiel die Melodie nicht, und an diesem Montag, dem 14. Dezember, haben die Wahlleute des Electoral College ihre Stimmen übermittelt: 306 zu 232 für Biden, kein knapper Sieg. Wenn auch der Kongress am 6. Januar dieses Ergebnis verkündet, woran niemand ernsthaft zweifelt, wird am 20. Januar die Amtseinführung stattfinden. Abspann!

Aber mit Ausruhen nach dem Happy End wird es nichts. Denn die neue US-Regierung wird alle Hände voll zu tun haben, Beschlüsse und Gesetze der alten rückgängig zu machen, darunter die Kündigung des Klimapakts von Paris, neue auf den Weg zu bringen und reichlich zerschlagenes Porzellan im In- und Ausland wieder zu kitten. Viel Glück dabei, die Welt braucht es.

Neuer Film, alte Ungewissheit. Was kommt? Mit Sicherheit erst mal der kürzeste Tag des Jahres am 21. Dezember, dann wird es langsam wieder länger hell. Impfungen. Ein böllerfreies Silvester. Ein neuer CDU-Vorsitzender. Ein paar Landtagswahlen und eine Bundestagswahl. Ein Kanzler (oder doch eine Kanzlerin?), der oder die nicht Angela Merkel heißt. Ein hoffentlich ergebnisreicher Klimagipfel. Und irgendwann, wir können selbst zumindest als Komparsen mitwirken, ein Ende der Pandemie. Vorerst bleiben weiterhin gefragt in allen Lebenslagen: Haltung und heitere Gelassenheit.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein gutes Jahr 2021.

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Unsere Autorin Kerstin Eitner begrüßt das leicht verfrühte Erwachen aus dem Winterschlaf
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Kerstin Eitner
Redakteurin

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