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Es spart Energie, CO2 und Zeit: Kein Wunder, dass Firmen ihre Geräte gerne wiederverwerten. Nun ist es beim Bau von Tunneln so, dass kaum eine XXL-Bohrmaschine der anderen gleicht. Daher werden sie in alle Einzelteile zerlegt. Dafür braucht man vor allem sehr viel Platz.

Kehl (dpa) - Auf den ersten Blick sieht es für den Laien aus wie ein großer Schrottplatz. Aber schnell fällt auf, dass die Teile mit System gelagert werden: Hier jede Menge Förderschnecken, dort aufgereiht zig Druckluftschleusen. Mittendrin schweißt ein Mann am Bohrkopfschild einer sogenannten Gripper-Tunnelbohrmaschine.

Auf mehr als 100 000 Quadratmetern hat der Tunnelbohrmaschinenbauer Herrenknecht in Kehl bei Straßburg ein Remanufacturing-Werk, in dem die riesigen Maschinen nach ihrem Einsatz in ihre Einzelteile zerlegt werden. Die Mitarbeiter bereiten diese auf. Anschließend werden die Komponenten erneut in die überdimensionalen Vortriebsmaschinen eingebaut oder als Ersatzteile verwendet.

Selbst Weihnachten oder Silvester könne von irgendwo auf der Welt ein Anruf kommen, dass dringend eine bestimmte Komponente gebraucht werde, sagt Werksleiter Olaf Kortz. Dann handele der Notdienst pragmatisch: «Erstmal geht es darum, das Problem zu lösen. Der Papierkram wird später geregelt.» Denn jeder Stillstand auf einer Baustelle koste sofort viel Geld. Auch auf dem Gelände in Kehl liegen Millionenwerte - aufgrund ihres Gewichts ziemlich diebstahlsicher.

Remanufacturing - auf Deutsch Remanufaktur oder auch Refabrikation - bezeichnet die industrielle Aufarbeitung von Altteilen. So können Material- und Energieaufwand sowie Treibhausemissionen gesenkt werden. «Durch das Remanufacturing wird die ursprüngliche Wertschöpfung auf hoher Stufe erhalten und die Importabhängigkeit kritischer Rohstoffe verringert», erläutert das Zentrum Ressourceneffizienz (ZRE) des Vereins Deutscher Ingenieure. Als Schlüsselkomponente einer Kreislaufwirtschaft werden die Teile dabei nicht so weit zerlegt wie beim klassischen Recycling.

Ein weiterer Vorteil des Remanufacturings: «Wenn Produkte zurückgenommen und aufgearbeitet werden, sinkt die Abhängigkeit von (oftmals global vernetzten) Lieferketten, da ein großer Teil der Bauteile und Komponenten weiter genutzt werden kann», heißt es in einer ZRE-Studie aus dem vergangenen Jahr. Dies könne die Lage bei Schwierigkeiten im internationalen Handel - etwa infolge von Zöllen, Preisschwankungen, Umweltkatastrophen oder Pandemie - entspannen.

Daher überrascht es nicht, dass zahlreiche Unternehmen auf dem Gebiet aktiv sind. So hat der Bagger- und Kranhersteller Liebherr aus Biberach ähnlich wie Herrenknecht ein eigenes «Reman-Programm» unter dem Motto «Was sich bewährt hat, wirft man nicht einfach weg». Der Autozulieferer ZF vom Bodensee spricht von «Premium-Recycling», mit dem vor allem neun Zehntel der Energie gespart werde, die sonst für eine Produktion benötigt wird. Der US-Baumaschinenhersteller Caterpillar betont auf seiner Homepage, dass Kunden keine minderwertigen Produkte zu fürchten brauchen: Eine vollständige Aufarbeitung beinhalte mehr als 350 Prüfungen und Untersuchungen.

«Mindestens so gut wie neu» lautet das Motto bei Herrenknecht. Es gebe keine Unterschiede bei Gewährleistung und Garantie, sagt Kortz. «Im Berg- und Tunnelbau steht Sicherheit an oberster Stelle, da darf man keine Kompromisse machen.» Gerade bei wiederaufbereiteten Teilen werde genau hingeschaut. Da dürfe nichts schiefgehen. «Heutzutage kommt fast keine Maschine mehr ohne Reman-Teile aus», erklärt er. Nur noch einige wenige Länder hätten hierfür Importbeschränkungen.

In Kehl wurde beispielsweise die Tunnelbohrmaschine auseinander geschraubt, die unterm Bosporus im Einsatz war. Jedes einzelne Teil wird penibel geprüft. UV-Licht etwa entlarvt feinste Risse im Metall. Nicht alles macht das Team des Rebuild Services selbst. Große Elektromotoren etwa werden auf einem externen Prüfstand untersucht.

Auf der Freifläche und in meterhohen Regallagern mit Platz für mehr als 4500 Europaletten bleiben die Teile so lange aufbewahrt, bis sie erneut eingesetzt werden können. Für die Wiederaufbereitung schleifen und schweißen die Mitarbeiter. Mit Edelstahlkügelchen, Glasperlen oder Trockeneis behandeln sie die Komponenten. Fürs Lackieren stehen verschiedene Techniken und 174 Farben zur Verfügung, wie Kortz sagt.

Am Ende sind die Ritzel, Zylinder oder Pumpen wie neu. Der Rebuild Services liefert seit 2009 Reman-Komponenten für Tunnelbohrmaschinen. In den meisten der 1400 Maschinen, die am Stammsitz in Schwanau montiert wurden, sind den Angaben nach auch solche Teile verbaut.

Remanufacturing ist laut den Fachleuten vom ZRE an sich nichts Neues, sondern erfuhr schon im Zweiten Weltkrieg einen rasanten Aufschwung: «Sinkende Fertigungskapazitäten zugunsten der Militärproduktion führten zur Aufarbeitung gebrauchter Güter», schreiben sie.

Heutzutage liegen die Umsätze auf dem Remanufacturing-Markt den ZRE-Angaben nach im zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich. Und das Wachstumspotenzial in Deutschland sei sehr groß - etwa in den Branchen Automobil, Luftfahrt, Elektronik und Medizintechnik. Auch im Schienenverkehr, Schiffsbau und in der Möbelindustrie spiele das Thema eine Rolle. Damit verbunden: steigende Mitarbeiterzahlen.

Manchmal mangelt es nach Angaben der Fachleute an der Wertwahrnehmung in der Öffentlichkeit: «Viele Produkte werden als Statussymbol gesehen. Aufgearbeiteten Produkten kann der Reiz des Neuen und damit auch die Symbolträchtigkeit fehlen.» Hemmschuhe könnten zudem Personalmangel, niedrige Kosten für die Herstellung von Neuware sowie fehlende Lagermöglichkeiten für zurückgenommene Produkte sein.

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