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Kampfansage an Peking: Die USA weisen Dutzende Diplomaten aus, schließen Chinas Konsulat in Houston. Die Konfrontation der beiden Mächte verändert die Weltordnung. Was machen Deutschland und die EU?

Peking/Washington/Brüssel (dpa) - Es ist eine schwere Brüskierung der kommunistischen Führung. Auf die Schließung von Chinas Konsulat in der texanischen Großstadt Houston durch die USA dürfte eine diplomatische Schlacht folgen, an deren Ende wohl auch viele amerikanische Diplomaten in China ihre Koffer packen müssen. Empört warfen sich beide Seiten am Mittwoch gegenseitig Gesetzesverstöße und «Einmischung in innere Angelegenheiten» vor. Peking beklagt eine «politische Provokation», während aus dem US-Außenministerium in Washington verlautet, China sei «seit Jahren in massive Spionage» verwickelt und nehme Einfluss auf US-Politik.

Schon vorher standen alle Zeichen auf Eskalation: Zwei US-Flugzeugträger mit Tausenden Soldaten an Bord patrouillieren im Südchinesischen Meer. Die chinesische Marine macht Schießübungen, verlegt Kampfjets auf Inseln, um Chinas Anspruch auf das Seegebiet zu untermauern. An der Handelsfront treiben die USA Strafzölle auf Importe aus China im Wert von Hunderten Milliarden US-Dollar ein, führen einen Feldzug gegen chinesische Tech-Unternehmen wie Huawei, betreiben eine Entkoppelung der beiden größten Volkswirtschaften.

Auch bestraft Washington das harsche Vorgehen Pekings in Hongkong und Xinjiang mit Sanktionen und versucht, China international isolieren. Verstärkt wird die Konfrontation noch durch den Ärger in den USA über die aus China stammende Corona-Pandemie. Viele sprechen von einem «neuen Kalten Krieg». Die USA «haben den Verstand verloren, ihre Moral und Glaubwürdigkeit», schimpfte kürzlich Chinas Außenminister Wang Yi. Mit ihrem «Amerika Zuerst» trieben die USA «Egoismus, Unilateralismus und Mobbing auf die Spitze».

Corona hat die Rivalität zwischen der aufsteigenden Macht China und der angeschlagenen Supermacht USA noch verstärkt. Eine neue Weltordnung entsteht. Mit dem Rückzug der USA aus internationalen Institutionen und Kooperationen stößt China in das Machtvakuum vor und baut seinen Einfluss aus. Auch im Wettbewerb der Systeme gewinnt China gerade eine wichtige Runde: Das autokratische kommunistische Regime hat das Coronavirus im Griff, während sich das demokratische System in den USA unter Präsident Donald Trump als dysfunktional erweist, überhaupt die erste Welle zu bekämpfen.

Die Europäer stehen zwischen den Fronten, müssen Schaden begrenzen und ihre neue Rolle noch finden. Auf den ersten Blick wirken sie hilflos. Chinas schwerer Eingriff in Hongkongs Autonomie und seine Menschenrechtsverstöße werden zwar lautstark verurteilt - der Mut, mit Sanktionen zu reagieren, fehlt aber. Seit Jahren versucht Brüssel vergeblich, China zu Fairness in der Wettbewerbs- und Handelspolitik zu bewegen. Immer wieder macht China Zusagen, hält sie aber nicht ein. Trotz intensiver Verhandlungen ist ein Investitionsabkommen, das den Marktzugang in China verbessern soll, nicht in Sicht.

Hinter der europäischen Zurückhaltung stecken vor allem wirtschaftliche Interessen. Es gibt eine Spaltung, da sich EU-Staaten wie Griechenland, Ungarn und Italien Milliardeninvestitionen aus China erhoffen. Für viele große europäische Unternehmen ist China mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern ein sehr wichtiger Absatzmarkt. 2019 erreichte der Wert der EU-Exporte nach China 198 Milliarden Euro. Für die EU ist Chinas weltweit der zweitwichtigste Handelspartner - nach den USA.

Ist China also eine Supermacht geworden, die der EU ihre Spielregeln diktieren kann? Vielleicht. Die keine Konsequenzen ihres Tuns fürchten muss? Nein. Die EU betrachtet China mittlerweile offiziell als «Systemrivalen», hat eine Kehrtwende in ihrer Handelspolitik vollzogen und legt sich schlagkräftigere Instrumente zur Abwehr von Dumping-Produkten und unfairen Wettbewerbspraktiken zu. Die Corona-Krise dürfte diese Entwicklung beschleunigen.

«Die Pandemie verändert die Welt, wie wir sie kennen. Unsere Handelspolitik muss angepasst werden, um die europäischen Interessen wirksamer verfolgen zu können», sagte EU-Handelskommissar Phil Hogan im Juni. Es brauche einen «entschlosseneren Ansatz», um die EU vor «feindseligen oder missbräuchlichen Handlungen zu schützen». Vieles dürfte für China eher unangenehm werden, denn die EU war zuletzt der weltweit wichtigste Absatzmarkt für chinesische Unternehmen. Auch dass Huawei jetzt vom Ausbau des schnellen 5G-Mobilfunknetzes in Großbritannien ausgeschlossen wird, hat Signalwirkung.

«Der Lärm um die De-Globalisierung wird lauter», sagte Cui Hongjian, Europa-Experte am Institut für Internationale Studien in Peking. Es gebe aber keine Alternative. Trotz aller Differenzen sieht er Europa und China auch eher auf einer Linie. Als amtierende EU-Ratspräsidentin sollte Kanzlerin Angela Merkel Europa - wie versprochen - zu einem «Anker der Stabilität» machen. «In einem gewissen Sinne unterstützt Europa sich selbst, wenn es China unterstützt.»

So versucht jeder der beiden Rivalen, die Europäer auf seine Seite ziehen. Die USA wollen die kommunistische Führung klar in die Schranken weisen - wirtschaftlich, politisch und militärisch. Für den Anti-China-Block sollen gleichgesinnte Demokratien gewonnen werden. Als Reaktion besinnt sich China stärker auf seine eigenen Kräfte, kurbelt die Innovation und den heimischen Markt an, um unabhängiger zu werden - eine Art «chinesische Entkopplung».

Trumps wahre Motive werden in Frage gestellt. Neben strategischen US-Interessen spielt eine wichtige Rolle, dass der US-Präsident - der sich im November um eine zweite Amtszeit bewirbt - China im Wahlkampf gut als Feindbild einsetzen kann. Bei Trump klingt das dann etwa so: China habe seit Jahren auf Kosten der USA gelebt, Amerika um Hunderte Milliarden betrogen, Jobs geklaut und die USA ausspioniert. Niemand gehe «so hart» mit China um wie er, während sein Herausforderer Joe Biden ein Freund Chinas sei - obwohl die Demokraten die Regierung in Sachen Sanktionen eher vor sich hertreiben.

China ist für Trump auch Sündenbock: Er macht die Führung in Peking für die Corona-Pandemie verantwortlich, spricht vom «China-Virus». Er lenkt damit von eigenen Versäumnissen ab. Fast vier Millionen Amerikaner haben sich infiziert, mehr als 140 000 sind an den Folgen gestorben. Aber Trump denkt nur an seine Wiederwahl. Nur beraubt ihn die Krise seines wichtigsten Arguments dafür: eine boomende Wirtschaft. Nach drei Jahren Aufschwung folgte der Absturz. Das Coronavirus könnte ihm den Wahlsieg vermasseln - was seine Position gegenüber China weiter verhärtet. «Diese fiese, schreckliche Krankheit hätte nie aus China entkommen dürfen», sagt Trump.

Es bleibt nicht bei harschen Tönen und der Ausweisung von Diplomaten wie jetzt in Houston. Auch geopolitisch und militärisch steuern die Streithähne auf Konfrontationskurs - vor allem im Südchinesischen Meer. Washington bezeichnet Chinas Ansprüche auf die rohstoffreichen Gewässer jetzt auch formell als «völlig gesetzeswidrig» und bereitet damit die Argumentation vor, falls es zur Eskalation in der Region kommt. Ein Urteil des Schiedsgerichtshofs in Den Haag von 2016, das Chinas Gebietsansprüche ablehnte, wird von Peking ignoriert.

Die Präsenz der US-Flugzeugträgergruppen mit mehr als 12 000 Soldaten in unmittelbarer Nähe der chinesischen Marine erhöht die Gefahr eines Zwischenfalls. «Wird es einen Krieg zwischen China und den USA geben?», fragte das Propaganda-Blatt «Global Times». Es beschwört Friedfertigkeit, droht aber, dass China bei einer «ernsten Provokation» nicht zögern werde: «China wird die Herausforderung annehmen und die USA vor unserer Haustür sicher besiegen.» An Kampfeswillen könne es Washington kaum mit Peking aufnehmen.

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