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Der Aralsee gehörte einmal zu den größten Binnenseen der Erde. Nun ist er fast verschwunden. Der Ort in Zentralasien gilt als eine der größten menschengemachten Umweltkatastrophen. Forscher kämpfen um die letzten Reste des Gewässers - mit welchen Aussichten?

Mujnak (dpa) - Unter einem Wolkenmeer liegen in der früheren Hafenstadt Mujnak durchgerostete Schiffe im Wüstensand. Das Wasser ist schon seit Jahrzehnten weg. Vom riesigen Aralsee, der in Usbekistan und im Rest Zentralasiens einst für Leben sorgte, sind hier heute nur noch Schautafeln übrig, die sein Verschwinden dokumentieren.

Die alten ausgeschlachteten Kutter und Fangboote lassen aber noch erahnen, wie Fischer mit ihren reichen Fängen die einst auch für ihre Badestrände bekannte Region ernährten. «Das Meer hat sich weit zurückgezogen und wird immer kleiner», sagt die Fremdenführerin Irina Petruschina auf dem Friedhof der Schiffe.

Rund 100 Kilometer von Mujnak entfernt soll das Wasser heute sein. Früher lagen in dem größten Fischereizentrum Zentralasiens mehr als 100 Schiffe vor Anker. Noch etwa zehn erinnern an die Zeit. Doch sand- und salzreiche Stürme und die Sonne setzen ihnen zu, bis sie einmal ganz verschwunden sein werden. Die Wüste Aralkum, die nach dem Aralsee benannt und durch sein Verschwinden entstanden ist, breitet sich immer weiter aus - und frisst die Zivilisation.

Schon seit mehr als 60 Jahren trocknet der Aralsee aus. Ein Museum mit Fotos und einem kleinen Kinosaal zeigt, wie in Mujnak die Wellen bisweilen hochschlugen. Wer heute den Aralsee oder seine Reste finden will, der muss sich auf eine stundenlange Reise durch die Sandwüste begeben. Im Geländewagen mit Allradantrieb geht es mühsam voran, vorbei an Gasförderanlagen und an buschigen Landschaften.

Mit Geld aus dem Ausland und durch internationale Förderprogramme werden in der Wüste seit Jahren Pflanzen gesetzt, die in den salzigen Böden überleben können und vor allem den Sand binden sollen, damit er nicht durch Wind und Luftströmungen Hunderte Kilometer weit getragen wird. Irgendwann sind auf der Fahrt Muscheln auf dem Boden zu sehen, Reste des Meeres, wie der Aralsee genannt wird. Dann noch später glitzert in der Abendsonne ein Wasserstreifen am Horizont.

Schon seit langem ist der Aralsee in einzelne Teile zerfallen. Der nördliche Part in der zentralasiatischen Republik Kasachstan hat sich nach dortigen Regierungsangaben stabilisiert - auch dank Unterstützung der Weltbank, die Millionenbeträge für die Rettung des Sees ausgibt. Dort leben sogar wieder Fische. Hier am westlichen Abschnitt in Usbekistan aber tut sich eine karge, durch Erosion und Felsabbrüche zerklüftete Landschaft auf.

Zwischen den sandigen Bergen liegt ein Lager mit Jurten. Es dient als Basis für Erkundungstouren zu den Resten des Aralsees, durch eine Region, die die Vereinten Nationen als «Symbol für die Zerstörung des Planeten durch den Menschen» sehen. 2017 zeigte sich auch UN-Generalsekretär António Guterres schockiert bei einem Besuch: «Das ist wahrscheinlich die größte ökologische Katastrophe unserer Zeit.»

Schuld an der «Tragödie» sei zwar ein Missmanagement von Wasserressourcen gewesen. Mit Blick auf den weltweiten Klimawandel aber warnte Guterres, dass sich das Phänomen an anderen Orten der Erde wiederholen könne. Er meinte, der Aralsee sei nicht zuletzt Mahnung, die Vereinbarungen des Pariser Klimagipfels umzusetzen.

Allein am westlichen Teil zieht sich das Wasser jährlich um 500 Meter zurück, wie Studien zeigen. 90 Prozent des Sees, wie er sich 1960 zeigte, sind heute verschwunden. Nach Angaben des Internationalen Fonds zur Rettung des Aralsees, den Usbekistan und Kasachstan mit den drei weiteren zentralasiatischen Republiken Turkmenistan, Tadschikistan und Kirgistan 1993 gegründet hatten, trocknet er weiter aus. «Noch fünf bis sieben Jahre - und der Prozess wird unumkehrbar sein», meint der Chef des Fonds, Wadim Sokolow, in der usbekischen Hauptstadt Taschkent. «Es wird alles verloren sein.»

Zu den großen Wüsten Karakum und Kysylkum in der Region sei in dem ausgetrockneten Becken nun die neue Aralkum hinzugekommen. «Die Gefährlichkeit dieser neuen Wüste besteht darin, dass von dort aus gewaltige Massen an Salz und ultrafeinem Staub in die Atmosphäre geblasen werden», erklärt Sokolow. Der Wasserbauingenieur beklagt, dass gesundheitliche Probleme bei Menschen wie Nieren- und Leberleiden, Erkrankungen der Herzkreislauf- und Atemwegssysteme, Krebs und Tuberkulose auffällig seien.

Kinder und Mütter litten in der autonomen usbekischen Republik Karakalpakstan, in der der Aralsee liegt, unter den ökologischen Folgen der Katastrophe. Im Blut schwangerer Frauen und in der Milch stillender Mütter seien hohe Dioxinwerte gemessen worden. Hinzu komme in der Pflanzen- und Tierwelt ein massenhaftes Artensterben, sagt der Experte. Zwar gebe es im nördlichen Teil des Arals in Kasachstan heute sogar wieder eine Fischfabrik, die sogar tonnenweise Zander für den Export nach Deutschland verpacke.

Aber der westliche Teil des Aralsees sei heute mit 270 Gramm Mineralien pro Liter Wasser so salzig, dass darin kein Fisch mehr leben könne. «1960 waren es noch 30 Fischarten, 20 davon nutzbar», sagt Sokolow. 40 000 Tonnen Fisch seien bis zu den 60er Jahren pro Jahr gefangen worden. Mit dem Rückgang der Wassermenge wurde der See immer salziger. Erst starben die Fische, dann verloren Zehntausende Menschen ihre Arbeit - in der Fischerei, Landwirtschaft und Tierhaltung, weil letztlich die Böden unfruchtbar wurden.

Sokolow hat eine lange Antwort parat auf die Frage nach dem Verschwinden des Gewässers. «Die Gründe für diese ökologische Tragödie liegen darin, dass dem Menschen Moral, Gewissen und Verantwortung für die Natur abhandengekommen sind. Die Landwirtschaft und die Industrialisierung haben das Sterben herbeigeführt.» Bauern hätten durch die Überdüngung der Böden große Schäden angerichtet.

Sokolow erzählt, dass trotz frühzeitiger Warnungen aus den zwei größten Flüssen Amudarja und Syrdarja, die den See speisen, Wasser etwa für die Agrarkulturen abgezweigt wurde - in den zu Sowjetzeiten angelegten Karakumkanal, der die Wüste besiegen sollte, aber letztlich durch die Austrocknung des Arals eine neue entstehen ließ.

Einst hatte der See eine Fläche von rund 69 000 Quadratkilometern - fast so groß wie Bayern. Mit seinen rund 1080 Kubikkilometern (km3) habe das Binnenmeer einst eine klimaregulierende Funktion gehabt. Nur zehn Prozent seien heute noch übrig. Um diesen Stand zu erhalten, sagt Sokolow, seien sieben bis elf Kubikkilometer Wasser pro Jahr nötig. «Wir haben gerade einmal zwei Kubikkilometer, also nicht einmal ein Drittel.» Ein km3 sind 1000 Milliarden Liter Wasser.

Die Führung der Sowjetunion in der Machtzentrale in Moskau wollte die Region zur weltweit bedeutendsten für die Baumwollproduktion machen. Auch die zur Sowjetunion gehörenden zentralasiatischen Republiken hätten damals «sehr wohl verstanden, dass das Meer verschwindet, wenn die Wasserentnahme aus den Flüssen nicht endet», sagt Sokolow.

Schon 1949, als Sowjetdiktator Josef Stalin noch das Sagen hatte, wiesen demnach Wissenschaftler auf eine mögliche Austrocknung des Arals hin. Trotzdem wurde noch bis 1990 Wasser entnommen. Ende 1991 - vor 30 Jahren - zerfiel das kommunistische Imperium. Doch obwohl sich Russland offiziell als Rechtsnachfolger der Sowjetunion sieht, kümmert es sich nicht um die Folgen der Katastrophe.

Der usbekische Präsident Schawkat Mirsijojew sieht es als eines seiner wichtigsten politischen Ziele, wieder Leben in die Region zu bringen. Die Ex-Sowjetrepublik mit starkem Bevölkerungswachstum ist dringend auf Arbeitsplätze angewiesen. Hunderttausende verdienen etwa in Russland Geld. Mirsijojew lobt, dass es nun eine UN-Sonderresolution gibt, mit der die Aralregion zu einer Zone ökologischer Innovationen und Technologien erklärt ist.

Das Land wolle seine weiten Flächen etwa für Solar- und Windenergieanlagen nutzen, sagt Mirsijojew. Bis 2030 solle sich der Anteil erneuerbarer Energien auf 25 Prozent erhöhen. Es werden auch Trinkwasserbrunnen gebohrt und Entsalzungsanlagen installiert, um die letzten Orte in der Aralregion vor dem Aussterben zu bewahren. Auch die wasserintensive Baumwollproduktion ist zurückgefahren.

Es gibt Überlegungen, den Tourismus etwa nach dem Vorbild des Toten Meeres in Israel zu entwickeln, Salz und Schlamm für kosmetische Zwecke zu nutzen. Der Chef des Fonds zur Rettung des Aralsees, Sokolow, aber sieht ein Problem nicht zuletzt darin, dass es zu viele schöne Projekte auf dem Papier, aber kein Geld dafür gebe. «Das Geld kommt teelöffelweise», sagt Sokolow, der zwei Millionen US-Dollar (1,77 Millionen Euro) pro Jahr für seinen Fonds bekomme.

400 Millionen US-Dollar würden gebraucht, um die nötige Infrastruktur zu bauen, damit der Status quo gehalten werden könne. Es gebe Dutzende Organisationen, darunter etwa die Weltbank, die Vereinten Nationen, die US-Entwicklungshilfe USAID und die Europäische Investitionsbank sowie unzählige Projekte und Hilfsprogramme, sagt Sokolow. Aber es fehle an Koordination, die Arbeit müsse aufeinander abgestimmt werden. Es gebe viel Aktionismus, aber kaum echte Hilfe.

Nichts davon helfe außerdem gegen das Hauptproblem des Wassermangels. Dabei habe es einmal revolutionäre Ideen gegeben wie in den 1980er Jahren. Das Wasser aus den mächtigen Strömen Sibiriens hätte umgeleitet werden können, um das Aralbecken aufzufüllen. «Diese Pläne, die Milliarden gekostet hätten, wurden niemals umgesetzt.»

Sokolow will nicht aufgeben, sieht aber geringe Chancen, das Verschwinden des Sees aufzuhalten, den viele schon verloren geben. «Wir haben Jahrzehnte durch Nichtstun verloren.» Es fehle an Niederschlägen. Zudem heize sich die Wüstenregion immer weiter auf. Dadurch verdunste das Wasser. Der Aralsee zeige, dass gerade einmal eine Generation ausreiche, um eines der schönsten und größten Binnengewässer der Erde an den Rand des Verschwindens zu bringen.

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