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in der Redaktion habe ich den Ruf, die Dinge und auch die Menschen tendenziell zu skeptisch zu sehen. Mag sein, dass das stimmt. Es ist wohl mein Naturell. Ich denke mir immer: Das muss es auch geben in einem Team. Für den sehr, sehr notwendigen Optimismus dürfen sich gern andere zuständig fühlen.

Dabei möchte ich zu meiner Verteidigung sagen, dass ich keine Misanthropin bin. Im Gegenteil. Gestern Abend war ich in der Elbphilharmonie. Das ist dieser ziemlich auffällige Konzertbau in Hamburg, der während seiner Bauphase aus Kostengründen hochumstritten war und seit seiner Eröffnung heiß geliebt wird. Auch von mir. Das Orchester spielte zuerst Beethovens Klavierkonzert Nummer 5 und dann Mozarts „Jupiter“-Sinfonie. Und ich war wie immer zu solchen Gelegenheiten tief bewegt. Gut zweitausend Menschen hatten sich an diesem dunklen Winterabend auf den Weg gemacht, um mehr als zweihundert Jahre alte Musik live zu hören. Aus keinem anderen Grund, als dass sie schön ist. Was für ein Aufwand, welch komplexes Vergnügen!

Vielleicht sind wir Menschen die einzige Spezies im Universum, die Sinfonien schreibt. Vielleicht sind wir auch die einzige Art, die Liebe in Gedichte fasst, die im Katastrophenfall zu planetenweiter Nothilfe fähig sein kann, die einzige, die weltberühmte Gemälde erschafft – und diese wiederum gelegentlich mit Tomatensuppe besprenkelt. Die einzige, die Bauwerke wie das Taj Mahal, den Eiffelturm oder die Elbphilharmonie errichtet hat. Wenn ich über die menschliche Kultur und Zivilisation nachdenke, empfinde ich Wärme und Verbundenheit. Aber in die Zuneigung zu meinen Mitmenschen schleicht sich manchmal auch Traurigkeit. Ich finde, es wäre schade um uns.

Das bringt mich zu meiner anderen Seite, meiner (hoffentlich zu) negativen Sicht auf die Welt. Mehr als 90.000 Menschen hatten sich dieses Jahr auf der 28. UN-Weltklimakonferenz in Dubai versammelt. So viele wie nie zuvor. In den Morgenstunden des 13. Dezember, am Mittwoch, verständigten sich die Staaten nach, wie man so sagt, zähem Ringen auf ein Abschlussdokument. Darin enthalten ist nach 27 UN-Klimakonferenzen erstmals ein „Übergang weg von“ fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl und Gas, um auf „gerechte, geordnete und ausgewogene Weise“ und „im Einklang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen bis 2050 ein Netto-Null-Ziel zu erreichen“. Das kleine, aber entscheidende Wörtchen „Ausstieg“ kommt in dem Dokument nicht vor.

Ich möchte den Fachleuten gern glauben, die nun auch das Positive sehen. Ausgerechnet in den Vereinigten Arabischen Emiraten sei es gelungen, sich auf eine Formulierung zu einigen, die „als Ziel die Abkehr von fossilen Brennstoffen benennt“, schreibt etwa die ukrainische Klimaexpertin Olha Boiko. Sie erwähnt aber auch, dass Russlands Präsident Putin sich während der Konferenztage in Dubai aufhielt – nicht um mit den anderen Regierungen über das Klima zu sprechen, sondern um mit Mohammed bin Zayid Al Nahya, dem Präsidenten der Emirate, über fossile Brennstoffe zu verhandeln, genauer: über deren Förderung und den Handel damit.

Ganz sicher bin ich jetzt ungerecht den vielen Menschen gegenüber, die mehr als 14 Tage lang in Dubai wieder um um nicht weniger als die Zukunft der Welt gerungen haben. Aber ich finde diese kleine Anekdote vielsagend. Was nützt uns ein „Ziel der Abkehr“, während der Rubel rollt?

Das einzige, was mich angesichts der Faktenlage aufrichtet, sind wiederum Menschen. Es sind die Einzelnen, die graswurzelbewegt mit guten Ideen vorangehen. Etwa jene Menschen, die wir im Greenpeace Magazin in unserer Rubrik „Wegweiser“ vorstellen. Es sind aber auch junge Menschen, die mir Hoffnung geben. Der Schauspieler Jonathan Berlin zum Beispiel, der Anfang 2023 zusammen seiner Kollegin Luisa-Céline Gaffron eine Petition gegen die Räumung des Braunkohledorfes Lützerath initiiert hat. Er ist einer von fast dreißig Prominenten, die in unserer aktuellen Ausgabe über ihre Gefühle sprechen.

„Die Klimakrise verschiebt meinen kompletten Blick auf alles, was möglich ist und wofür es sich zu leben lohnt“, hat der 29-Jährige uns geschrieben. „Manchmal stelle ich mir vor, dass es da plötzlich den einen utopischen Gipfel gäbe, in dem alle politisch Verantwortlichen verstehen, umlenken und entschieden zu handeln beginnen. In meinem Tagtraum stelle ich mir dann vor, wie im News-Feed eine Nachricht aufploppt wie: ,Klimakrise ausgebremst – Wissenschaft erklärt 1,5-Grad-Ziel für eingehalten'.“

Ich schließe mich dieser Utopie der reinen Vernunft vollumfänglich an – und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

PS: Am Samstag erscheint der zweite Teil unserer Multimediareportage Boden Burnout: „Ausgelaugt“. Es lohnt, sich dafür Zeit zu nehmen!

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Redakteurin Katja Morgenthaler hadert mit dem Klimapapier von Dubai
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Katja Morgenthaler
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