Ach, diese Lücke...

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wenn Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) einen Beschluss der EU-Landwirtschaftsministerinnen und -minister zur Agrarreform als „Systemwechsel“ und „Meilenstein“ rühmt und der Präsident des Deutschen Bauernverbandes Joachim Rukwied ihn als „gute Grundlage“ bezeichnet, dann verheißt das nichts Gutes.

Bis zum frühen Mittwochmorgen dieser Woche zogen sich die Verhandlungen über die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Deutschland hat derzeit den Vorsitz im Europäischen Rat, also leitete Klöckner das Treffen. Was sie tags darauf als großen Durchbruch präsentierte, erntete jedoch harsche Kritik von Umweltverbänden und Grünen: Arten-, Tier-, Natur- und Klimaschutz blieben auf der Strecke. Auch Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) zeigte sich wenig begeistert.

Als die GAP 1962 ins Leben gerufen wurde, ging es nicht um Natur, Umwelt oder gar Klima, sondern um Produktivität, Nahrungsmittelsicherheit, stabile Märkte und „angemessene“ Preise sowie Vergütungen für Bäuerinnen und Bauern. Gefördert wurden bestimmte Agrarprodukte; das führte zu den berühmt-berüchtigten Butterbergen und Milchseen. Eine Nebenwirkung dieser Politik war die Zerstörung der Agrarmärkte zahlreicher afrikanischer Länder, die nicht mit den subventionierten Lebensmitteln aus Europa konkurrieren konnten.

1992 kam es dann tatsächlich zum Systemwechsel. Die „entkoppelten Direktzahlungen“ wurden eingeführt, die „erste Säule“ der GAP. Gezahlt wird pro Hektar. Das heißt: Wer hat, dem wird gegeben. Profiteure sind Großbetriebe mit viel Fläche, kleinbäuerliche Betriebe haben das Nachsehen. Wer einen Hof gepachtet hat, geht leer aus, denn der Geldsegen fließt an die, denen das Land gehört. Das sind in den letzten zehn Jahren zunehmend Finanzinvestoren, die in Zeiten niedriger Zinsen attraktive Anlagemöglichkeiten suchen. Unausweichliche Folgen: Die Bodenpreise steigen, Ackerflächen und Pachtraten werden unerschwinglich.

Aber da ist ja noch die zweite Säule der GAP, vorgesehen für Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen und die Entwicklung des ländlichen Raumes. Von den 6,2 Milliarden Euro, die Deutschland jährlich kassiert, entfallen nur 1,2 Milliarden auf die zweite Säule. Und die hat auch noch einen Haken: Für alle Mittel aus diesem Topf müssen Staat, Region oder Kommunen des jeweiligen Landes noch mal dieselbe Summe drauflegen. Kein Wunder, dass das Geld oft gar nicht abgerufen wird.

Nun sollen laut Ratsbeschluss 20 Prozent der Direktzahlungen an Umweltprogramme gekoppelt sein. Solche „Eco-Schemes“ hatte die EU-Kommission vorgeschlagen. Das EU-Parlament fordert 30 Prozent, Grünen und Umweltverbänden reicht auch das nicht, zumal die Teilnahme an den Programmen freiwillig sein soll. Bis Jahresende soll das ganze Paket zwischen Rat, Parlament und Kommission fertig verschnürt sein, wenn es nach Julia Klöckner geht.

Wie aber der von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen propagierte „Green Deal“, die Klimaneutralität der EU bis 2050, erreicht werden soll, wenn die Landwirtschaft mehr oder weniger außen vor bleibt? Tja. Gute Frage. Hier klafft eine entsetzliche Lücke, englisch: gap.

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Unsere Autorin Kerstin Eitner staunt über viel Geld für wenig grüne Landwirtschaft
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Rückkehr der Heizpilze

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der heutige Titel klingt ein bisschen nach Horrorfilm, und das stimmt ja in gewisser Weise auch. Hatten wir nicht gedacht, Heizpilze würden zusammen mit ein paar anderen aberwitzigen Gerätschaften (Laubbläsern, Einweggrills, Plastikgeschirr) auf dem großen Sperrmüllhaufen mit der Aufschrift „Produkte, die die Welt nicht braucht“ landen? Aber nun bekommen sie eine zweite Chance als Retter der Außengastronomie, zumindest temporär. Denn es lässt sich nicht mehr leugnen, der Herbst ist da und auf den folgt gewöhnlich der Winter. Wer jetzt kein Bier hat, trinkt auch keines mehr, jedenfalls nicht draußen – und drinnen lauern die Aerosole. Theoretisch müsste regelmäßig durchgelüftet werden, dann wäre es selbst dort nicht mehr warm.

Also erlauben Kommunen wie zum Beispiel Tübingen, Frankfurt, Stuttgart, Essen, Hannover, Hamburg und einige Berliner Bezirke wieder, was sie aus Klimaschutzgründen schon mal verboten hatten. Dirk Messner, Chef des Umweltbundesamtes (UBA), findet das für eine Übergangszeit vertretbar, auch wenn es ihn nicht freut. Laut UBA stößt so ein gasbetriebener Heizpilz in einer Stunde durchschnittlich zweieinhalb Kilo CO2 aus. Aufs Jahr gerechnet etwa so viel wie ein Kleinwagen. Nun gibt es ja auch mit Strom betriebene Terrassenheizungen – was bei 100 Prozent Ökostrom zumindest besser fürs Klima wäre, aber so weit sind wir noch nicht.

Was tun? Während Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eine CO2-Kompensation wie beim Fliegen in die Debatte geworfen hat, geißeln Umweltverbände die Nutzung von Heizpilzen prinzipiell und propagieren stattdessen die gute alte Wolldecke. In manchen Ländern schwört man auf beheizbare Sitzkissen mit Akku, wobei der leider auch nicht ohne gelegentliche Energiezufuhr auskommt. Partyzelte oder Pavillons wären weitere Optionen. Es könnte bald so aussehen, als hätte jemand Iglus abgeworfen. Ohne Heizung wird es da drin allerdings auf Dauer auch recht frisch.

Aber ob all diese Maßnahmen es bei weiter sinkenden Temperaturen schaffen, die Gastronomie zu retten? Zweifelhaft. Immerhin, die Baumärkte freuen sich über den reißenden Absatz im Heizpilzsegment, dabei zählen die ohnehin schon zu den großen Gewinnern der Krise. Wir erinnern uns: Kita zu, Baumarkt geöffnet. Käme es zur flächendeckenden Ausrüstung von Klassenzimmern mit Heizpilzen, um das ständige Lüften erträglicher zu machen, dürfte es allerdings zu Lieferengpässen kommen. (Kleiner Tipp für Freunde der Goldwaage: Vorsicht Satire!)

Sagenhaft, was wir alles ersinnen, erlauben, erwägen, um die subjektiv als ewig empfundene, in Wirklichkeit aber wohl zeitlich begrenzte Corona-Periode zu überstehen. So viel Arbeit, Zeit und Geld werden investiert, und wann hätte die Wissenschaft je eine so wichtige Rolle gespielt? Man wünscht sich denselben Einsatz bei der Bekämpfung der Klimakrise, bloß bitte mit mehr Einigkeit zwischen Bund und Ländern und international sowieso. Mit einem Virus kann man zwar nicht verhandeln, mit dem Klima aber ebenso wenig, und die Folgen der Veränderungen werden viel dramatischer, teurer und vor allem langfristig und unumkehrbar sein.

Anfang dieser Woche ist die „Polarstern“ von ihrer Mosaic-Expedition in der Arktis zurückgekehrt. Dort herrscht Klimawandel im Zeitraffer. Die Crew habe „dem arktischen Meereis beim Sterben zugesehen“, berichtete Expeditionsleiter Markus Rex aus einer untergehenden Welt. Statt mehrjährigen Eises: weite Flächen offenen Wassers, fast bis zum Nordpol. In ein paar Jahrzehnten könnte das sommerliche Meereis komplett verschwunden sein. Seine Fläche ist seit den Achtzigerjahren um die Hälfte geschrumpft. Ein systemrelevantes Ökosystem, das vielleicht bald auf der Intensivstation liegt.

Das geschah und geschieht, während wir unter Heizpilzen von wärmeren Jahreszeiten träumen. Sehr warme Jahreszeiten könnten es werden, mit vielen nicht bestellten Überraschungen, die wir trotzdem bezahlen müssen. Besser gesagt: die nachfolgenden Generationen.

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Unsere Autorin Kerstin Eitner erinnert daran, dass man mit dem Klima nicht verhandeln kann
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