Die Freiheit, die sie meinen

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keine Sorge: ich bin nicht Kerstin Eitner im neuen Look, ich bin nur – für dieses Mal – ihre Vertretung. Unsere Kollegin hat sich ein paar freie Tage verdient und bis vor Kurzem hätte dies auch eine Pause für die Wochenauslese bedeutet. Stattdessen haben wir entschieden, dass ab jetzt in solchen Fällen jemand aus der Redaktion für Kerstin Eitner einspringt und Sie mit der gewohnten Wochenauslese versorgen darf. Heute also ich.

Vom wunderbaren amerikanischen Cartoonisten Gary Larson, der kürzlich nach 25 Jahren Pause wieder neue Zeichnungen veröffentlicht hat, stammt ein älteres Bild, das sehr gut zu unseren bewegten Zeiten passt. Es zeigt einen vollen Klassenraum, ein Schüler meldet sich und klagt: „Herr Lehrer, Herr Lehrer, mein Hirn ist voll!“ Wenn man die Nachrichten aufmerksam verfolgt, ergeht es einem schnell wie dem armen Jungen, es schwirrt einem der Kopf: Coronakrise, Wahlrechtsreförmchen, die Vergiftung von Alexej Nawalny, der Amazonas brennt so stark wie beinahe noch nie, Kalifornien auch, und seit vergangenen Sonntag, nach erneuten Polizeischüssen auf einen unbewaffneten Schwarzen, auch die Stadt Kenosha im US-amerikanischen Bundesstaat Wisconsin. Dazu kommt noch Trumps „Horrorshow“, der Wahlparteitag der Republikaner, der diese Woche auch dem Letzten auf peinigende Weise klarmachte, dass sich die traditionsreiche Partei von der Wirklichkeit verabschiedet hat.

Vom Zusehen bekam man beinahe schon Kopfschmerzen. Die fernsehgerecht inszenierte Veranstaltung zelebrierte ein Märchenland mit Donald J. Trump als herzenswarmem, weitsichtigem Führer, der sich für die Bürger seines Landes aufreibt. Ein Familienmensch, unfehlbar, der Amerika am liebsten nicht nur vier, sondern gleich die kommenden zwölf Jahre vor dem „Chinavirus“, vor marodierenden Horden Nichtweißer oder nervigen Umweltschützern beschützen wollen würde. So klischeebeladen, erwartbar und eigentlich unerträglich diese amerikanische Version eines führerseligen Reichsparteitags auch ablief, so interessant ist es, immer wieder zu sehen, wie Politik und Macht mit der Herrschaft über die Begrifflichkeiten einhergehen. Das Schlüsselwort „Freiheit“, das bei den Republikanern so gut wie jede Rednerin und jeder Redner ausgiebig strapazierte, steht in der Trump‘schen Welt für die Freiheit, privat militärische Waffenarsenale anzulegen, sich nicht um Umweltschutzgesetze zu scheren, das Steuernzahlen den Mittelschichten und den Armen zu überlassen und mit Frauen das zu machen, was man will – „When you’re a Star, they let you do this.“

„Freiheit“ wird in dieser Logik zum Mörtel der Macht. Alles soll so bleiben, wie es ist, vor allem ganz oben. Mit der längst überfälligen Befreiung der Benachteiligten und Unterdrückten, mit dem Zauber der Idee, Menschen ohne Ansehen von Hautfarbe, Geschlecht oder sozialer Herkunft, das Recht auf freie Entfaltung zuzusichern, hat diese republikanische Version der „Freiheit“ nichts mehr zu tun.

Ich wünsche Ihnen ein erholsames und, vor allem, freies Wochenende!

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Klima, wo man hinschaut

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man wähle ein beliebiges Medium – mit ziemlicher Sicherheit wird man auf die eine oder andere Meldung zum Klima stoßen, derzeit gern in Kombination mit Dürre und Hitze.

Was da so berichtet wird, gibt wenig Anlass zur Freude. Die Schätzung kanadischer Wissenschaftler etwa, dass die Arktis Ende dieses Jahrhunderts nahezu eisbärfrei sein könnte, von einigen wenigen Exemplaren in der Hocharktis abgesehen. Oder die Berechnungen der Weltwetterorganisation WMO, dass es vielleicht schon in den nächsten Jahren um 1,5 Grad Celsius wärmer sein wird als in vorindustrieller Zeit. Das Fazit, das ein Team der University of Southampton aus geologischen Untersuchungen zieht, nämlich dass der CO2-Gehalt der Atmosphäre im Jahr 2025, also praktisch gleich, so hoch sein wird wie zuletzt vor 3,3 Millionen Jahren.

Gletscherschmelze in der Alpenregion auf der Südinsel Neuseelands und in den deutschen Alpen, schwankende Böden durch tauenden Permafrost in Sibirien, Warnungen vor überhitzten Städten als Todesfallen – Letzteres ist kein Medien-Alarmismus, sondern kommt von der Nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde NOAA in den USA. Es braucht keine hellseherischen Fähigkeiten, um vorherzusagen, dass der ärmere Teil der Bevölkerung darunter mehr leiden wird als der reichere.

Auch in Deutschland warnt eine Allianz namens „Klug“ (Klimawandel und Gesundheit), gegründet von Personen, Verbänden und Organisationen aus dem Gesundheitsbereich, vor Hitzewellen, für die das Land nicht gerüstet sei. Es gibt zwar ein bundesweites Hitzewarnsystem, aber wie diese Warnungen dann umgesetzt werden, entscheiden, Sie ahnen es, die Bundesländer.

Und wo bleibt das Positive? Ja, wo bleibt es? Immerhin: Peter Altmaier (CDU), hauptberuflich Schutzpatron der deutschen Wirtschaft, hat Versäumnisse bei der Klimaschutzpolitik eingeräumt und sieht „enormen“ Nachholbedarf. Auf so viel Einsicht dürfen wir allerdings bei Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) nicht hoffen. Der fliegt mal eben von Hamburg nach Sylt. 187 Kilometer Luftlinie. Ist also auf dem Landweg kaum zu schaffen. Apropos Fliegen: 81 aller Regierungsmaschinen flogen im Zeitraum April 2019 bis April 2020 ohne Passagiere zwischen Bonn und Berlin. Wenn das nicht „gegen jeden Menschenverstand“ ist. Und sollten wir dieses Jahr doch noch mit knapper Not die Klimaziele erreichen (40 Prozent weniger Treibhausgasemissionen gegenüber 1990), verdanken wir das dem milden Winter und dem coronabedingten Wirtschaftseinbruch, nicht der großartigen Politik. Mist!

Findet jenseits des Atlantiks auch der 71-jährige US-Amerikaner Andrew Feeney, gewissermaßen das Senioren-Pendant zu Greta Thunberg. In jeder Sitzungsperiode des Kongresses steht er täglich als Ein-Mann-Klimademo vor dem Kapitol in Washington mit einem Protestplakat, abends malt er immer ein neues. Zumindest tat er das bis Anfang des Jahres, bevor die Corona-Pandemie zuschlug. Aber ganz gleich, wo und wann: Klimaprotest ist wohl bis auf Weiteres alternativlos.

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Krieg und Frieden

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so oft man die Geschichte gehört hat, so unvorstellbar bleibt sie: Am 6. August 1945 um 8.16 Uhr morgens detonierte eine US-Uranbombe mit dem verniedlichenden Namen „Little Boy“ in 580 Meter Höhe über der japanischen Stadt Hiroshima und machte sie dem Erdboden gleich – kaum ein Gebäude hielt der enormen Sprengkraft stand. Von vielen Männern, Frauen und Kindern blieben nur Schatten, eingebrannt in Straßen, Treppenstufen und die wenigen erhaltenen Mauern. Die Menschen waren buchstäblich verdampft.

Drei Tage später folgte die Zerstörung der Stadt Nagasaki durch die Plutoniumbombe „Fat Man“. Innerhalb von vier Monaten hatten beide Städte zusammen rund 200.000 zivile Todesopfer zu beklagen. Wie viele in den Jahren und Jahrzehnten danach an Spätfolgen der Strahlung erkrankten oder starben, wird sich wohl nie genau beziffern lassen. Am 15. August 1945 verlas Kaiser Hirohito im Radio den „Kaiserlichen Erlass zur Beendigung des Großostasiatischen Krieges“. Viele Japanerinnen und Japaner hörten zum ersten Mal die Stimme des als gottähnlich geltenden Tennō und warfen sich erschrocken zu Boden. Am 2. September unterzeichnete Japan die Kapitulationsurkunde.

Bis heute hält sich in den USA der Mythos, die Atombombenabwürfe hätten den Zweiten Weltkrieg beendet, dabei war die Kapitulation Japans nur eine Frage der Zeit. Militärisch war das Land längst geschlagen, die wichtigsten Städte waren größtenteils zerstört, Okinawa und Iwojima verloren, die Bevölkerung litt an Hunger und Entbehrungen. Anfang Juli hatte Radio Tokio gemeldet, die Eignung von Kiefernwurzelöl als Flugbenzin werde getestet und im japanischen Waffenamt sei eine „Abteilung für die Produktion von Holzflugzeugen“ eingerichtet worden. Eine Woche vor der Rede des Kaisers hatte zudem die Sowjetunion Japan den Krieg erklärt.

„Es war nicht nötig, dieses furchtbare Ding auf sie abzuwerfen“, sagte der ehemalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower 1963, zwei Jahre nach dem Ende seiner Amtszeit. Eisenhower, im Krieg Oberbefehlshaber der Alliierten Expeditionsstreitkräfte, und andere ranghohe Militärs hatten Bedenken gegen den Einsatz der Atombomben geäußert, und selbst dem amtierenden Präsidenten Harry S. Truman war nicht ganz wohl bei der Sache. Die Scharfmacher und Drahtzieher, die ihn lehrten, die Bombe zu lieben oder wenigstens für notwendig zu halten, waren Kriegsminister Henry L. Stimson und vor allem Außenminister James F. Byrnes.

Inzwischen sind viele Historiker in den USA und weltweit allerdings der Meinung, dass es im Grunde ein militärischer Test zweier unterschiedlicher Bombentypen war, weil man sie nun einmal hatte. Die Zivilbevölkerung der beiden Städte hätte den Amerikanern also als Versuchskaninchen gedient – eine gruselige Vorstellung.  

Und die Lehren aus Hiroshima und Nagasaki? Nun, von der Welt ohne Atomwaffen, die Ex-US-Präsident Barack Obama 2009 bei seiner berühmten Prager Rede beschwor, ist die Menschheit nach wie vor weit entfernt. Noch immer gibt es rund 13.400 Atomsprengköpfe, 6.375 davon in Russland und 5.900 in den USA. Der Rest verteilt sich auf sieben weitere Staaten, darunter, nicht sonderlich beruhigend, Nordkorea mit seinem irrlichternden Präsidenten Kim Jong-un.

Später propagierte Eisenhower, sozusagen als Wiedergutmachung, die „Atoms for Peace“: Atomstrom so billig, dass man den Verbrauch gar nicht werde messen können. Der Unfall in der sowjetischen Anlage Majak 1957, das Feuer in der britischen Atomfabrik Windscale im selben Jahr, der Beinahe-GAU von Three Mile Island in den USA 1979, die Katastrophen von Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 hatten wenig Friedliches an sich. Vom „Normalbetrieb“, der allzu häufig mit der legalen Ableitung großer Mengen radioaktiver Gase und Flüssigkeiten in die Umgebung einherging und -geht, und der ungelösten Atommüllfrage haben wir da noch gar nicht gesprochen – und von der zivilen zur militärischen Nutzung der Atomspaltung ist es rein technisch nicht allzu weit.

Mag die Atomenergie in vielen Ländern Europas und in den USA heute nicht mehr populär sein, anderswo setzt man auf sie: Ruanda ist im Begriff, mit russischer Hilfe einzusteigen, auch Ägypten, Äthiopien, Nigeria, Sudan und Südafrika haben Deals mit dem Atomkonzern Rosatom abgeschlossen. In Abu Dhabi hat mit dem AKW Barakah gerade der erste Meiler der arabischen Welt den Testbetrieb aufgenommen.

Die Geschichte des Atomzeitalters ist, wie es aussieht, auch ein Dreivierteljahrhundert nach Hiroshima und Nagasaki noch nicht zu Ende erzählt.

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Unsere Autorin Kerstin Eitner würde das Atomzeitalter gern verabschieden
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