Erholung im Grünen?

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Das Unglück schläft nicht, sagt der Volksmund. Stimmt. Es war hellwach, als es vor ein paar Wochen meinen Mann beim Fahrradfahren erwischte, aus der Kurve trug und ihm einen Schienbeinbruch verpasste. Nach Durchlaufen des ganzen Programms – Notärztin, Klinik, OP – wurde der Verunfallte mitsamt einem Paar Krücken wieder zu Hause an- und wir einigen Mysterien des Gesundheitssystems ausgeliefert. In Ruhe krank sein geht nicht, es gilt Rezepte, Nachsorgetermine, Physiotherapie und manches andere zu organisieren. Ich war nicht weg, etwa in den Pfingstferien, ich war nur anderweitig beschäftigt.

„Viele Grüße an Florence N.“, schrieb eine Freundin aus Amsterdam an meinen Mann. Florence Nightingale, geboren am 12. Mai vor genau 200 Jahren, legendäre Krankenschwester, Gesundheitsreformerin und übrigens auch Pionierin der visuellen Veranschaulichung von statistischen Zusammenhängen, war eine herausragende Vertreterin ihres Berufsstandes, dem neben höchster Wertschätzung auch eine entsprechende Entlohnung gebührt. Was die wohl zu meiner amateurhaften Krankenpflege gesagt hätte? Immerhin läuft nun alles wieder in halbwegs geordneten Bahnen, auch dank eines wahren Tsunamis an Hilfsangeboten und -einsätzen.

Krankheit, Erholung, da war doch was – ach ja: Habemus Konjunkturpaket! Nach der Bazooka bringt Finanzminister Olaf Scholz, wie stets mit unbewegtem Gesicht, den Wumms in Stellung. Und tatsächlich, es ist ein dickes Paket mit einigen Überraschungen. Die erste: Eine Kaufprämie wird es nur für Elektroautos geben, von denen die deutsche Autoindustrie nicht viele im Angebot hat. Und ab 2021 wird die Kfz-Steuer für Spritschlucker teurer. Leider werden aber außer E-Mobilen auch Plug-in-Hybride, also Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor und Elektroantrieb, gefördert. (Übrigens hat Italien, auch kein Land der Autohasser, gerade eine Kaufprämie für Fahrräder ausgelobt. Mehr dazu auf unserer Website.)

Ein weiteres Überraschungsei, die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer, sieht zumindest auf den ersten Blick gerecht aus, weil sie allen zugutekommt – auch Menschen mit niedrigem Einkommen oder darbenden Kommunen. Die Preisfrage im wahrsten Sinne des Wortes ist bloß, ob sie denn auch an alle weitergereicht wird. Profitieren werden davon jedenfalls auch die Autohersteller.

Kommt denn nun die „grüne“ wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise, der Umbau, den von Wirtschaftsexperten über Klimaaktivistinnen bis hin zu Organisationen aus dem Gesundheitsbereich viele gefordert hatten? Klar, alle freuen sich über das Ausbleiben der Autokaufprämie (wer dafür noch argumentative Nachhilfe braucht, wird in unserem aktuellen Heft fündig). Dennoch hält Tobias Austrup von Greenpeace das Paket für „bestenfalls blassgrün“. Carla Reemtsma von Fridays for Future begrüßt das Ausbleiben der „Vollkatastrophe“, vermisst aber Klimavorgaben für Unternehmen, die staatliche Subventionen bekommen. Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hätte sich statt eines rein ökonomischen auch „einen ökologischen Wumms“ vorstellen können.  

Fragt sich zudem, wie es denn auf internationaler Ebene mit dem Umwelt- und Klimaschutz weitergeht. Zum Beispiel mit dem „Green New Deal“ der EU. Klimaneutralität bis 2050, mehr Artenschutz, klimafreundlichere Landwirtschaft – klingt gut, aber schon grummeln einige Mitgliedsstaaten, die Pläne solle man doch jetzt lieber auf Eis legen, es gebe andere Prioritäten. Und bei der (Video-)Konferenz über die Zukunft der erneuerbaren Energien, die Dänemark gemeinsam mit der Internationalen Energieagentur bereits Ende April ausrichtete, plädierten zwar die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für deren Ausbau. Doch welche nicht ganz unwichtigen Länder fehlten am virtuellen runden Tisch? Richtig: die USA, China und Russland.

Das Unglück schläft nicht, könnte man jetzt mit Blick auf die zukünftige Ausrichtung der Weltwirtschaft orakeln. Es heißt also wachsam bleiben – und sich von den Weiter-wie-gehabt-Propheten nicht einlullen lassen.

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Kerstin Eitner sucht im Konjunkturpaket der Regierung vergebens nach dem Klima-Wumms
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Jenseits von „weiter so“

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während wir ganz vorsichtig mit unseren Lockerungsübungen beginnen, womit nicht die privaten Trainingseinheiten im Wohnzimmer oder die Joggingrunden im Park gemeint sind, beschäftigen sich viele kluge Leute mit der Frage: Wie wird die Wirtschaft aussehen in der Stunde null oder dem Jahr eins n. C.? Ein wichtiges Thema, denn es wird allerhand abhängen von der Ausgestaltung des Wiederaufbaus.

Die alten Industrien werden, wie es aussieht, nicht kampflos aufgeben. Agrar- und Autolobby sind bereits in Berlin und Brüssel vorstellig geworden, um für die Verschiebung von Umwelt- und Klimaschutzauflagen zu werben. Auch eine Neuauflage der Abwrackprämie ist im Gespräch, angeblich mit Blick auf „klimafreundliche Antriebe“ – wer’s glaubt.

Besonders hart hat es die Ölindustrie getroffen, die Nachfrage nach dem Schmierstoff der Globalisierung fiel zeitweise auf den tiefsten Stand seit 18 Jahren. Die Organisation Erdöl exportierenden Länder (OPEC) drosselt wegen des Preissturzes die Förderung. Manche Experten vermuten, dass die weltweite Nachfrage nie wieder das Niveau der Zeit v. C. erreichen wird.

Dessen ungeachtet soll bald die Erweiterung der Keystone-Pipeline beginnen, die von den Ölfeldern in der kanadischen Provinz Alberta zu US-amerikanischen Raffinerien führt. Präsident Obama hatte den Ausbau 2015 nach vielen Protesten von Umweltschützern und Indigenen gestoppt, Trump nahm das 2017 zurück. Kürzlich hat die Bank JP Morgan Chase, der weltgrößte Investor in fossile Energien (lesen Sie auch die Meldung „Wie Banken das Klima anheizen“), das Projekt mit einer Milliarde US-Dollar abgesichert.

Andererseits: Selbst in den USA steigt der Anteil von Strom aus Wind und Sonne. 21 Prozent beträgt er, mehr als doppelt so viel wie noch vor zehn Jahren. In Kalifornien und Texas sind Erneuerbare mittlerweile billiger als Öl, Kohle und Gas. Stiftungen, Universitäten, Pensionsfonds und andere Investoren setzen zunehmend auf „grüne“ Industrien und Finanzprodukte. Fachleute glauben, dass dieser Trend nicht nur anhalten, sondern sich verstärken wird.

Das wäre auch sehr wichtig, sonst wird es nichts mit dem nachhaltigen Wiederaufbau, den zurzeit Thinktanks wie die „Agora Energiewende“, Umweltverbände wie Greenpeace oder BUND und das Gremium von der Leopoldina, das die Bundesregierung berät, in Studien und Stellungnahmen fordern. „Der Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft, der Schutz der Artenvielfalt und die Umgestaltung der Agrar- und Lebensmittelindustrie bieten die Möglichkeit zum schnellen Aufbau von Jobs und Wachstum – und können dazu beitragen, Gesellschaften widerstandsfähiger zu machen“, heißt es auch in einem Aufruf namens „Green Recovery“, veröffentlicht in großen Zeitungen mehrerer Länder. Unterzeichnet haben ihn rund 200 Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen. Mit von der Partie, man reibt sich die Augen: Unilever, E.ON, L'Oreal, Danone, Coca Cola, H&M, Volvo, Microsoft, Renault und Ikea.

Zukunftsmusik, die gar nicht übel klingt. Da die Politik ja derzeit demonstriert, dass sie durchaus auf die Wissenschaft hören kann, wenn es sein muss, wird sie vielleicht auch für solche Klänge ein offenes Ohr haben. Solange kein Superheld in Sicht ist, der es Impfstoffe oder Medikamente regnen lässt, könnte man doch schon mal Konzepte jenseits von „weiter so“ diskutieren.

Das tut übrigens auch das Greenpeace Magazin in seiner neuen Ausgabe, die nächste Woche erscheint. Darin schauen wir nämlich in die Zukunft und enthüllen…Aber das verrate ich Ihnen heute noch nicht. Mehr dazu am kommenden Freitag.

Bis dahin, bleiben Sie gelassen und gesund!

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Kerstin Eitner hofft, dass n. C. nicht alles wieder so wird, wie es vorher war
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