Grüne Welle in Frankreich

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oh, là, là, die Franzosen! In unserem Nachbarland ist Grün die neue Sommerfarbe. Präsident Emmanuel Macron hat die Ergebnisse eines im letzten Jahr einberufenen Bürgerkonvents zum Thema Klima präsentiert – 150 per Zufall ausgewählte Landsleute haben in neun Monaten einen Katalog mit fast genauso vielen Vorschlägen erarbeitet, der es in sich hat.

Die energetische Sanierung von Gebäuden ist dabei und ein Verbot beheizter Café-Terrassen. Bis 2040 soll auf der Hälfte aller Agrarflächen ökologisch gewirtschaftet werden, Geschäfte sollen nachts nicht mehr beleuchtet und Klimaanlagen außer in Krankenhäusern nicht kühler als 30 Grad eingestellt sein. Außerdem sollen die Bahn massiv gefördert und Inlandsflüge verboten werden, wenn das Ziel auch anders in weniger als vier Stunden zu erreichen ist. Und dann fordern die auch noch eine Reduzierung der Geschwindigkeit auf Autobahnen von 130 auf…man traut sich kaum, die Zahl hinzuschreiben: 110 Stundenkilometer. (Ich weiß nicht, ob Verkehrsminister Andreas Scheuer das mitbekommen hat, aber falls ja, war hoffentlich jemand mit einem Beruhigungsmittel zur Stelle.)

Zugegeben: 150 von rund 67 Millionen Menschen, das sind nur wenige, aber Macron hat versprochen, ihre Vorschläge ans Parlament weiterzuleiten und dafür zu sorgen, dass so viele wie möglich davon umgesetzt werden. Ein Referendum zum Klimaschutz soll es auch geben. Und die grüne Welle rollte bei den französischen Kommunalwahlen weiter, bis in die Rathäuser von Lyon, Bordeaux, Straßburg und Besançon, die von Grünen erobert wurden. In Marseille steht die endgültige Entscheidung noch aus.

Mehr Klimaschutz hat sich auch die EU auf die Fahnen geschrieben. 50 bis 55 Prozent Senkung der Treibhausgase gegenüber 1990 kann sie sich bis 2030 vorstellen, bislang war nur von 40 Prozent die Rede. Laut Machbarkeitsstudie eines Brüsseler Beratungsunternehmens wären sogar 65 Prozent drin. Aber noch ziehen nicht alle mit. Deutschland, das seit Mittwoch den Ratsvorsitz innehat, könnte tatkräftig daran mitwirken. Es gab ja Zeiten, da wurde Angela Merkel als „Klimakanzlerin“ bezeichnet. Wissen Sie noch, Merkel 2007 mit Sigmar Gabriel, damals Umweltminister, heute Großschlachtereibetriebsberater, beide in signalrotem Partnerlook bei den Eisbären?

Schade nur, wenn man im eigenen Land einen Kohleausstieg zwar beschlossen hat, dieser sich aber schrecklich zieht (anders als etwa in Spanien). Erst 2038 soll der letzte Meiler abgeschaltet sein. Und die beiden Konzerne RWE und LEAG dürfen sich laut Kohleausstiegsgesetz auf 4,35 Milliarden Entschädigung freuen. Wofür eigentlich genau?, fragt sich das Freiburger Öko-Institut in einer Studie für die Klima-Allianz Deutschland – die Entschädigungen lägen insgesamt um bis zu zwei Milliarden zu hoch. Greenpeace wiederum verdächtigt die CDU in Gestalt von Wirtschaftsminister Peter Altmaier, mit der Kohleindustrie unter einer Decke zu stecken, und hat deshalb die Glasfassade des Konrad-Adenauer-Hauses kurzzeitig nach Christo-Art verhüllt.

Unterdes macht das Klima völlig unbeeindruckt das, was es eben so macht: Es lässt Temperaturen steigen und wirbelt gewohnte Wettermuster durcheinander. Zuletzt sorgte es in unseren Breiten für ein ungewöhnlich warmes und trockenes Frühjahr, und in Sibirien trieb es das Thermometer auf Rekordhöhe. Waldbrände wüten im fernen Osten. Starke Temperaturschwankungen ist man dort gewohnt, es wird auch stets heiß im Sommer, aber über 30 Grad nahe dem Polarkreis, das ist schon außergewöhnlich. Der ewige Präsident Putin, der Russland und der Welt wohl noch die nächsten 16 Jahre erhalten bleibt, hält die Lage für „sehr ernst“. Ach nee! Wie wäre es denn mal mit einem neuen Energiekonzept? Russland steht nämlich beim Energieverbrauch zwar weltweit an 4. Stelle, der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix lag aber letztes Jahr bei unter ein Prozent. Hier wäre Vollgas mal eine feine Sache.

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Bericht aus Hamburg

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der Eventkalender in Hamburg für dieses Wochenende: leer. Derzeit nicht ungewöhnlich und mitunter bedauerlich, in diesem Fall allerdings Grund für einen erleichterten Stoßseufzer. Sonst zwängen sich nämlich stets Ende Juni etwa 50.000 stolze Besitzer eines Motorrads der Marke Harley-Davidson in ihre Lederkluft, schwingen sich auf ihre von der Lokalpresse oft als „Kultmotorräder“ bezeichneten Knatterpötte und kacheln nach Hamburg.

Benzinduft wabert durch die Stadt, wenn sie mit „sattem Blubbern“ (Lokalpresse) von Donnerstagabend bis Sonntagmittag von früh bis nachts auf den schweren Maschinen herumkurven, durch Haupt- und Nebenstraßen, Wohn- und Geschäftsviertel. Das Blubbern schon einer einzigen Maschine dringt mühelos durch Doppel- und Dreifachfenster – aber im Verband ist es noch schöner. O-Ton auf einer Fan-Website: „Denn die Biker lassen es sich natürlich ungern nehmen, in Convois durch die Stadt zu knattern. Gerne auch durch enge Straßen, da dröhnt es besser.“

Diese mehrtägige Zwangsbeschallung mitten in der Großstadt, die 2003 erstmals stattfand, verdanken wir einer Koalition aus CDU – mit Ole von Beust als Bürgermeister –, FDP und PRO. PRO was? Das war die rechtspopulistische „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ des als „Richter Gnadenlos“ bekannten Ronald Schill (dessen kurze Politkarriere im August 2003 jäh mit seinem Rausschmiss durch von Beust endete). Die Dreierallianz dachte vermutlich: Dieses Harleydings spült sicher zahlreiche Touristen in die Stadt sowie Geld in die Kassen von Hotels, Gastronomie und Veranstaltern. Volltreffer! Denn erstens sind die Möchtegern-Easy Rider mehrheitlich betuchte ältere Herren, und zweitens kamen auch immer so um eine halbe Million Schaulustige.  

Zwar wurden die zentralen Veranstaltungen – im Grunde ein Dauerwerbeevent für die Marke Harley – nach Anwohnerprotesten aus der Innenstadt aufs Hafengelände verlegt, aber, siehe oben, man cruiste trotzdem mit Wonne weiterhin durch City und hafennahe Viertel, um die ganze Männerpracht aus Chrom, Gummi und Leder zur Schau zu stellen. Und weil das so prima funktionierte und Beschwerden im Lärm untergingen, wurde die Genehmigung immer wieder verlängert.

Anwohnerinnen und Anwohnern blieb nur, vor dem letzten Juniwochenende fluchtartig die Stadt oder zumindest die betroffenen Viertel zu verlassen. Unser Urlaub begann seit vielen Jahren immer um diese Zeit. Diesen Sommer fällt er aus, aber die Harley Days eben auch. Ein Virus schaffte, was weder das BImSchG noch mehrere Regierungswechsel vermochten. Bevor Sie fragen: Ja, in Hamburg regieren die Grünen immer mal wieder mit. Von 2008 bis 2011 sogar mit der CDU und von Beust, damals noch als Grün-Alternative Liste (GAL). Gegen die Harley Days konnten sie nichts ausrichten.

Seit Neuestem stellen sie nun den Verkehrssenator, schon geistert wieder das Wort „Fahrradstadt“ durch den Raum. Senator Anjes Tjarks möchte, sagt er, dass sich Hamburgerinnen und Hamburger beim Radfahren „entspannt und sicher“ fühlen, was zumindest in der Innenstadt nicht so leicht ist. Schon lange wird an Konzepten für Fahrradstraßen und sogenannten Velorouten herumgedoktert, und die Werbeagentur Jung von Matt hat sich für vier Millionen Euro eine Kampagne samt passendem Liedchen ausgedacht.

Unterdessen hat Hamburg im Copenhagenize-Index der 20 besten Fahrradstädte leider die rote Laterne, 2011 lag die Stadt noch auf dem 11. Platz. Oslo dagegen hat sich in nur drei Jahren vom 19. auf den 7. Platz vorgearbeitet. Wie das? Indem die norwegische Hauptstadt Autofahren zwar nicht verbietet, aber gegenüber allen anderen Mobilitätsarten unattraktiv macht und ein energisches Verkehrswendekonzept verfolgt.

Und in Hamburg? Nächstes Jahr alles wieder „normal“? Noch mehr Autos, kein schlüssiges Radkonzept, Harley Days im An- und wir im Abmarsch? Ein Hindernis wird auf den ärmlichen Rad- und Fußwegen zumindest nicht mehr auftauchen: Segways, diese seltsamen Stehroller, die Menschen immer so aussehen ließen wie Erdmännchen auf Droge. Etwa so sinnvoll wie ein Wintermantel am Äquator, aber immerhin leise. Nun wird die Produktion mangels Nachfrage eingestellt. Wie man hört, steckt auch Harley-Davidson in der Krise…

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Unsere Autorin Kerstin Eitner vermisst den Lärm von 50.000 Motorrädern nicht
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2020 – anders reisen

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na, schon gebucht? Man darf ja jetzt wieder. Schon seit ein paar Wochen treibt, wie es in Medienberichten gern heißt, angeblich „ganz Deutschland“ eine Frage um: Was wird aus unserem Sommerurlaub? Schließlich steht dieser bei den Deutschen beinahe im Rang eines verfassungsmäßigen Rechts, und zwar unabhängig von der Erscheinungsform. Ballermann oder Bildungsreise, nah, halb oder ganz fern, Hauptsache weg.

Nicht alle Optionen sind dieses Jahr machbar (Kreuzfahrten) oder ratsam (USA, Russland, Brasilien). Immerhin, im Schengen-Raum und auch in anderen Regionen Europas entfallen die Grenzkontrollen wohl größtenteils ab Montag. Für Ballermann sieht es 2020 trotzdem eher schlecht aus. Die Balearen tasten sich erst mal vorsichtig an die Tourismussaison heran. Bis zu 10.900 Deutsche – nicht mal ein Prozent der Massen, die in der zweiten Junihälfte des letzten Jahres dort ihren Urlaub verbrachten – dürfen schon vor der offiziellen Eröffnung am 1. Juli ihre Lieblingsinsel Mallorca besuchen, gewissermaßen als Versuchskaninchen im Rahmen eines „Pilotprojekts“.

Das könnte ziemlich traumhaft werden, einerseits. Ohne allzu viele bárbaros del norte, Barbaren aus dem Norden, die mit der Oberbekleidung auch die Manieren ablegen und halbnackt Einlass in die Kathedrale von Palma begehren. Ohne Briten, die gern mal vom Balkon ihres Quartiers in den Pool springen oder das zumindest versuchen. Ohne Frühstücksbuffet im Hotel, ohne Currywurst in der Schinkenstraße und Sangria aus Zehn-Liter-Eimern. Dafür mit reichlich Abstand zwischen den Sonnenliegen. Und viel Platz am wunderschönen Strand Es Trenc, mitten im Naturschutzgebiet gelegen, schwer zu erreichen und trotzdem Anziehungspunkt für sehr, sehr viele.

So mag es aussehen, wenn man erst die Anreise überstanden hat. Klar, beim Warten, Einchecken und bei der Sicherheitskontrolle gilt der Mindestabstand von anderthalb Metern. Während des Fluges dürfen dann aber zumindest bei Lufthansa und Eurowings alle auf Tuchfühlung mit Sitznachbar oder -nachbarin gehen und müssen fest auf die Klimaanlage in der Kabine vertrauen. Das Entfallen des Duty-Free-Angebots an Bord lässt sich wohl verschmerzen, anderes wird schwieriger: Bei Ryanair muss man artig anfragen, ob man aufs Klo darf. Offenbar kein Scherz.

Andererseits: Alle, die in irgendeiner Form vom Tourismus leben, fragen sich, wie die Saison mit den neuen Regeln wohl verlaufen wird. Für viele Betriebe geht es ums Überleben. Es ist ein mentaler Spagat zwischen freudiger und banger Erwartung der Touristenströme, in Dörfern und Städten, auf Bergen und Hügeln, an Küsten und auf Inseln. Ja klar, Cafés und Restaurants sollen wieder florieren, Souvenirläden warten auf Kundschaft, Hotels und Ferienanlagen wollen vermieten, Surflehrer surfen lehren und Taxifahrer Taxi fahren.

Wie sehr ihnen der Turbotourismus aber eben auch auf den Geist ging, merkten viele Einheimische während des verordneten Stillstands der letzten Wochen. War es nicht herrlich ohne sich durch enge Gassen quetschende Menschenmassen? Die Orte so ruhig, die Strände so leer, das Wasser so klar und der Himmel so blau. Sogar Sylt habe etwas von seinem früheren Charme zurückgewonnen, versicherten mir hingerissene Freundinnen und Verwandte und belegten das mit entsprechenden Bildern. Weißt Du noch früher, im Frühling, Herbst und Winter? Als die Saison noch nicht das ganze Jahr dauerte? Oh ja. Aber wie kommt man aus der Übertourismus-Nummer wieder raus? Brutal abwürgen ist keine Lösung, sanft umsteuern erfordert viel Geduld, Ideen und Fingerspitzengefühl.

Da war doch noch was. Ach ja, das Klima! Wenn Sie jetzt noch mal das Greenpeace Magazin 6.19 durchblättern – Motto: Gute Reise! –, werden Sie verblüfft feststellen: Vieles von dem, was da drinsteht, lässt sich auf die derzeitige Situation anwenden. Wandern, Rad fahren, Mikroabenteuer, „Safari“ im Osten Deutschlands wären Alternativen nicht nur, aber auch in Coronazeiten. Übrigens, das im Heft beschriebene europäische Nachtzugnetz bekommt Zuwachs. Der private Bahnkonzern RDC schickt ab 4. Juli seinen „Alpen-Sylt-Nachtexpress“ auf Fahrt. Sicher klimaschonend und hoffentlich virenfrei.

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Kerstin Eitner fragt sich, wie der Sommerurlaub in diesem Jahr wohl aussieht
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