Trotz allem gut essen!

Text

wenn die Nachrichten voller Schrecken sind (teils menschengemachter Art wie in der Ukraine, teils aufgrund unvorstellbarer Naturgewalten wie in der Türkei und in Syrien, teils auch aufgrund von beidem wie gerade in Neuseeland), und wenn die Woche auch sonst mal wieder eine Herausforderung war, dann ist es absolut legitim, sich auf deren zweitägiges Ende zu freuen. Ist dann auch noch schlechtes Wetter angesagt, empfiehlt es sich umso mehr, erstmal die eigene Versorgungslage zu checken und gutes Essen einzukaufen.

Tröstlich sind dabei nicht nur die Kalorien, man kann mit der richtigen Wahl auch den Lauf der Dinge positiv beeinflussen – zum Beispiel indem man weniger Fleisch isst. Das hilft zwar nicht gegen Erdbeben und Angriffskriege, ist aber nachweislich gut für fast alles andere: Klima, Böden, Urwälder, Grundwasser, Meere, die eigene Gesundheit, die globale Lebensmittelversorgung, und für die Tiere sowieso.

Es ist eine Tatsache, die immer mehr Menschen beherzigen. Bereits seit 2016 sinkt die Zahl der hierzulande gehaltenen und geschlachteten Tiere, doch noch nie war der Rückgang so stark wie 2022. Deutsche Schlachtunternehmen „produzierten“ laut Statistischem Bundesamt zuletzt rund 600.000 Tonnen weniger Fleisch als im Vorjahr, ein Rückgang um 8,9 Prozent. In Tieren ausgedrückt: viereinhalb Millionen weniger Schweine wurden im Vergleich zu 2021 getötet, gut 200.000 weniger Rinder und rund 20 Millionen weniger Hühner, Puten und Enten. Ich versuche gerade, sie mir als Herde und als flatternden Schwarm vorzustellen.

Für den erstaunlich deutlichen Trend gibt es mehrere Gründe. Zuletzt machten die gestiegenen Kosten für Energie, Düngemittel und Futter infolge des Ukrainekrieges vielen Agrarbetrieben zu schaffen, und Verbraucherinnen und Verbraucher mussten aufgrund der Inflation kräftig sparen. Tatsächlich sinkt der Fleischkonsum aber unabhängig von den aktuellen Entwicklungen seit Jahren, weil sich Konsumgewohnheiten, Überzeugungen und Angebote verändern. Beinahe acht Millionen Menschen und damit ein Zehntel der Bevölkerung gibt mittlerweile an, sich vegetarisch zu ernähren, unter den 18- bis 34-Jährigen sind es sogar 17 Prozent. Mit knapp 1,6 Millionen Menschen leben überdies doppelt so viele wie vor sechs Jahren vegan. Insgesamt erklärt jeder und jede Zweite, den Fleischkonsum in den vergangenen Jahren reduziert zu haben.

Die meisten haben auch nichts dagegen, wenn die Politik bei der Ernährungsumstellung nachhilft. Laut einer Umfragestudie von Forschenden der Uni Hamburg, die gerade im Fachjournal „Nature Food“ erschienen ist, würde eine Mehrheit der Deutschen eine „Fleischsteuer“ von bis zu 40 Cent pro Kilogramm befürworten, jedenfalls, wenn die daraus gewonnenen Einnahmen dem Tierwohl zugute kämen – das zieht als Argument deutlich stärker als der Klimaschutz. Viel Zustimmung gibt es auch für eine verpflichtende Kennzeichnung der Haltungsbedingungen, wie Landwirtschaftsminister Cem Özdemir sie plant. Zwar warnt Bauernpräsident Joachim Rukwied, es „brodele“ in der Schweinebranche, Özdemirs Vorhaben sei ein Programm, „das auf einen Abbau hinausläuft“. Aber ist nicht in vielen Ställen jetzt sowieso mehr Platz für eine bessere Haltung, also die erste Voraussetzung für den Umbau bereits geschaffen? Entscheidend ist doch, dass die Halterinnen und Halter mehr Geld pro Schwein bekommen! Und das gesunde Lebensmittel günstiger werden – zum Beispiel durch eine Mehrwertsteuerbefreiung für Obst und Gemüse.

In Nürnberg ist heute die „Biofach“ zu Ende gegangen, die weltgrößte Messe der ebenfalls krisengeschüttelten Biobranche. Dort seien vegane „Ersatzprodukte“ der Renner gewesen, heißt es. Deren Angebot steigt ständig, und allein aus Neugierde probiere ich ab und zu gern neue Produkte aus. Einige Fleisch-, Fisch- oder Milchprodukt-„Alternativen“ erweisen sich mittlerweile als erstaunliche Illusion, andere als verblüffend geschmacksfrei.

Es ist aber meiner Ansicht nach gar nicht immer nötig, Fleisch zu kopieren. Sehr lecker sind auch viele original fleischfreie Gerichte, zum Beispiel aus Indien, dem Mutterland der veganen Küche. Falls irgendwer noch keine Pläne fürs Wochenende hat, kann ich die Zubereitung eines Dhals (Linseneintopf) wärmstens empfehlen – man kann dabei fast nichts falsch machen und beliebig variieren. Etwa so: Öl in einen Topf, eine kleingeschnittene Zwiebel darin anbraten, nach zwei Minuten ein daumengroßes Stück Ingwer und ein paar Knoblauchzehen dazu (beides ebenfalls fein gehackt) sowie je einen Teelöffel zerstoßenen oder gemahlenen Kreuzkümmel und Koriander. (Als Variante irgendwelches übriggebliebene Gemüse schnippeln und mit anbraten.) Dann nach Belieben rote Linsen dazu, mit Wasser aufgießen. Kochen, bis die Linsen zerfallen und der gewünschte (dickflüssige) Aggregatzustand erreicht ist, eventuell noch Wasser dazu, mit Pfeffer, Salz und etwas Gemüsebrühe abschmecken und mit frischem Koriander und einem Schlag Joghurt (oder auch nicht) servieren. Tut der Seele und dem Planeten gut!

Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit und ein schönes Wochenende!

 

Schlagworte
Autorenbild
Anje Jager
Unterschrift
GPM
Untertitel
Was Redakteur Wolfgang Hassenstein für das Wochenende empfiehlt
Stichzeile
Wochenauslese
Text Credit Beschriftung
Text
Kachel Viel Text
Off
Hintergrundfarbe
#ebffe3
Startseiten Sortierung
-432
Unterschrift Text

Wolfgang Hassenstein
Redakteur

Aktionsbild
Überschrift
Schon gelesen?
Überschrift
Schon fair eingekauft?
Überschrift
Schon abonniert?
Startseite Pinned
Aus
Startseiten Sortierung Backend
-426

Bloß nicht rumtrödeln

Text

wir sind zu langsam, Sie und ich und all die anderen, vor allem die Bevölkerungen der wohlhabenden Länder. Das besagt eine neue Studie: Das Ziel, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, die weltweiten CO2-Emissionen also bis 2030 zu halbieren, sei unrealistisch, heißt es darin. Physikalisch sei das durchaus zu machen, aber der notwendige soziale Wandel verlaufe viel zu schleppend.

Falls es Sie tröstet, auf der Anklagebank sitzen neben uns und unserem Konsumverhalten auch die Unternehmen, die mehrheitlich unbekümmert so weitermachen wie immer. Löbliche Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Medien spielen eine zwiespältige Rolle, teils bremsen, teils beschleunigen die Beiträge und Artikel zum Thema die Transformation.

Zehn gesellschaftliche Faktoren, die für den Klimaschutz bedeutsam sind, hat ein Team aus Natur- und Sozialwissenschaften im „Hamburg Climate Futures Outlook 2023“ untersucht: die UN-Klimapolitik, die Gesetzgebung zum Klimaschutz, Proteste, soziale Bewegungen, transnationale Initiativen, Klagen und Gerichtsurteile wie etwa der Beschluss der Bundesverfassungsgerichts vom April 2021, Konsumverhalten, Abzug von Investitionen aus der fossilen Wirtschaft, Wissensproduktion und Medien.

Bei den Sorgenkindern Wirtschaft und Kundschaft stoßen wir auf die alte Henne-oder-Ei-Problematik. Einerseits müssten Unternehmen auf neue Wünsche und geändertes Konsumverhalten reagieren, andererseits könnten sie mit klimaneutraler Wirtschaftsweise (nicht aber mit Greenwashing, versteht sich) und entsprechenden Produkten den Konsum in eine andere Richtung lenken.

Dazu ein kleiner Exkurs, der zeigt, wie es eben nicht laufen sollte: Seit Januar 2023 muss die Gastronomie neben Wegwerfverpackungen aus Plastik Mehrweglösungen als Alternative anbieten. Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) haben jedoch bei Testkäufen festgestellt, dass sehr viele To-go-Anbieter das nicht tun. Die DUH hat gegen einige bereits juristische Schritte eingeleitet. Allerdings wird Mehrweg auch nicht sehr stark nachgefragt – was wiederum daran liegen könnte, dass die Gastro-Betriebe nicht offensiv darüber informieren, wozu sie eigentlich verpflichtet sind.

Nun die Millionen-Euro-Frage: Wie lassen sich Verhaltensänderungen erreichen? Die kritische Masse für sogenannte soziale Kipppunkte, die zur Änderung sozialer Normen führen, liegt bei etwa einem Viertel der Bevölkerung. Der Kopf des Menschen ist aber eine ziemlich harte Nuss. Zunächst müsste mal jemand gründlich mit der Mär aufräumen, dass nur Daniel und Daniela Düsentrieb die Klimakrise aufhalten können. Technologische Innovationen allein – Batterien, Digitalisierung, smarte Geräte, Fahrzeuge und Häuser, synthetische Kraftstoffe, CO2-Rückholung aus der Atmosphäre oder gar Mondstaub zur Abkühlung: ohne sozialen Wandel alles ziemlich sinnlos. Damit die Sache in Schwung kommt, braucht es Kommunikation, Wissen, Vorbilder. Denn auch einzelne Personen können einen Unterschied machen, siehe Greta Thunberg.

Oder Innes FitzGerald. Die talentierte 16-jährige Langstreckenläuferin aus dem britischen Devon hat ihre Teilnahme an der Crosslauf-Weltmeisterschaft in Australien abgesagt. Begründung: Sie könne es mit Blick auf das Klima nicht verantworten, eine so weite Flugreise anzutreten und hoffe, dass weitere Athletinnen und Athleten sich über das Thema Gedanken machen würden. Das ist ihr nicht gerade erst eingefallen: Schon zur Europameisterschaft in Turin im Dezember reiste sie mit dem Zug.

Umsteuern ist natürlich auf allen Ebenen nötig, gerade jetzt. 2022 kamen in Deutschland 15,8 Millionen Tonnen zusätzliche CO2-Emissionen durch die gestiegene Kohleverstromung hinzu, eine Folge der Energiekrise. Das darf auf keinen Fall so bleiben – muss es auch nicht, denn laut Bundesnetzagentur ist die Versorgung auch bei einem Kohleausstieg bis 2030 gesichert. Wird es auch nicht, wenn es nach dem „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ geht. Im ehemaligen Braunkohlerevier Cottbus etwa haben sie offenbar Lust auf Zukunft. Sozialer Wandel? Aber gern!

Wenn Sie mögen, leiten Sie diese Wochenauslese gerne weiter. Abonnieren können Sie sie übrigens hier. Wenn Sie auch gerne unsere Presseschau zu Umwelt- und Klimaschutzthemen zugeschickt bekommen wollen, sollten Sie sich hier dafür eintragen – dann halten wir Sie montags bis freitags auf dem Laufenden. Wir freuen uns, wenn Sie dabei sind!

Schlagworte
Autorenbild
gpm
Unterschrift
GPM
Untertitel
Redakteurin Kerstin Eitner hofft auf soziale Kipppunkte, und zwar schleunigst
Stichzeile
Wochenauslese
Text Credit Beschriftung
Text
Kachel Viel Text
Off
Hintergrundfarbe
#d8ffe4
Startseiten Sortierung
-430
Unterschrift Text

Kerstin Eitner
Redakteurin

Aktionsbild
Überschrift
Schon gelesen?
Überschrift
Schon fair eingekauft?
Überschrift
Schon abonniert?
Startseite Pinned
Aus
Startseiten Sortierung Backend
-424

Schon wieder Grillsaison?

Text

die Grillsaison hat begonnen. Diese Nachricht hätte in diesem erstaunlich warmen Januar noch gefehlt, in dem Krokusse blühen, Münchner Biergärten öffnen und Fotos schmaler Skipisten kursieren, geschrumpft zu weißen Linien in teils schon ergrünter Alpenlandschaft. Da halfen nicht einmal mehr Schneekanonen, auch Aufschüttversuche per Hubschrauber blieben (zum Glück) erfolglos. Selbst wenn es jetzt zum Ende des Monats wieder kälter wird, die unheimliche Bilanz bleibt: Die erste Januarhälfte war die heißeste seit Beginn der Messungen 1881.

Schoko mit Schrecke

Aber es ist nicht nur gefühlt schon wieder Grillsaison, es ist auch Grillensaison. Pünktlich vor dem Finale des Dschungelcamps hat die Europäische Kommission am Dienstag nach Mehlwurm und Heuschrecke nun auch die Hausgrille Acheta domesticus als Lebensmittel zugelassen, genauso wie die Larven des Getreideschimmelkäfers. Beide Arten dürfen künftig gefroren, getrocknet, pulverisiert oder als Paste beigemischt verkauft werden. Bislang haben sich zwei Lebensmittelunternehmen die Erlaubnis für den Vertrieb erteilen lassen. Man stelle sich nur die Möglichkeiten vor: Insekten könnten bald in Brot, Suppen, Fleisch- und Milchersatz, Kartoffelprodukten oder Schokolade stecken. Der Markt dafür ist noch sehr klein, auch deswegen sind Lebensmittel mit Wurm drin bislang deutlich teurer als ohne.

Igitt? Zugegeben, was krabbelt und kriecht, klingt in europäischen Ohren nicht gerade appetitlich. Die Welternährungsorganisation (FAO) sieht darin allerdings einen Baustein für eine klimafreundliche und gesunde Nahrungsversorgung. Statt sich die Angelegenheit vorschnell madig zu machen, könnte man sich zumindest die delikate Frage stellen, warum hierzulande viele Menschen tierisches Eiweiß in Insektenform ablehnen, aber kein Problem damit haben, Schlachtabfälle in Süßwaren zu essen. Oder wie wir den weltweiten Bedarf an Proteinen decken, ohne unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. Alles Fragen, bei denen Veganer und Vegetarierinnen meist schon weiter sind – ihnen bleibt diese Dschungelprüfung erspart.

Tank leer

Nicht mehr fragen muss sich seit dieser Woche Jacinda Ardern, wie sie ihr Amt als Premierministerin trotz Überbelastung fortführen soll: „Ich weiß, was man für diesen Job braucht, und ich weiß, dass ich nicht mehr genug im Tank habe“, sagte sie in ihrer Rücktrittsrede unter Tränen. In ihrer fünfjährigen Amtszeit musste sie viele Krisen managen: darunter den Terroranschlag von Christchurch, einen Vulkanausbruch, Corona. Meine Kollegin Frauke Ladleif hatte in unserem Frauen-Schwerpunkt (Ausgabe 6.21) Arderns politisches Ziel beschrieben, den Wohlstand ihres Landes nicht mehr nur am Wirtschaftswachstum zu bemessen, sondern auch am Wohlergehen von Mensch und Natur.

In Erinnerung würden nun jedoch vor allem ihr empathischer, fürsorglicher Führungsstil bleiben, ihr öffentlich vorgelebter Spagat zwischen Familie und Beruf, heißt es in vielen Medien zum Abschied. Mag schon sein, aber hätte man solche Maßstäbe auch an einen Mann angelegt? Jedenfalls blieben solche Haltungsnoten aus, als Arderns Amtsvorgänger John Key 2016 auch mit „nichts mehr im Tank“ zurücktrat. Apropos, Männer und Zurücktreten. Diese Woche verkündete Markus Söder – manche würden sagen: er drohte an –, nun doch länger als die versprochenen zehn Jahre Bayerns Ministerpräsident bleiben zu wollen. Ab 2028 gelte für ihn „zehn plus“, aufgrund der vielen Krisen sei einfach ein „langer Atem“ nötig. Zurücktreten oder am Sessel kleben – was für unterschiedliche Schlüsse man aus Krisen doch ziehen kann.

Alle Vögel sind… im Wald

Tatsache ist: Wir brüten derzeit emsig über der neuen Ausgabe des Greenpeace Magazins, deren Schwerpunkt sich um die ebenso faszinierende wie bedrohte Vogelwelt drehen wird. Passend dazu veröffentlichte der Nabu gerade die Ergebnisse seiner diesjährigen Winterzählung, an der sich 99.000 fleißige Bürgerinnen und Bürger beteiligt hatten. Ergebnis: Dieses Jahr kamen deutlich weniger Vögel an die Futterstellen als im Vorjahr. Besonders selten wurde neben Kernbeißer, Buntspecht und Buchfink der Eichelhäher gesichtet. Laut Nabu liegt das unter anderem an der großen Fülle an Baumfrüchten. Die Vögel sind nicht weg, sie schlagen sich nur lieber im Wald den Bauch voll.

Alles gut also? Nicht ganz: Häufiger aufeinanderfolgende Mastjahre, wie sie zuletzt aufgetreten sind, zehren in Zeiten der Klimakrise die Wälder aus – was irgendwann auch den Vögeln zum Verhängnis wird. Was die geflügelten Zeitgenossen sonst noch bedroht, wie wir ihnen helfen können und allerhand Erstaunliches aus der bunten Vogelwelt lesen Sie – pünktlich zur Rückkehr der Zugvögel – vom 3. März an im fertigen Heft.

Und weil in der Redaktion gerade so viel los ist, pausiert die Wochenauslese am kommenden Freitag, die nächste Ausgabe dieses Newsletters erhalten Sie am 10. Februar. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

Wenn Sie mögen, leiten Sie diese Wochenauslese gerne weiter. Abonnieren können Sie sie übrigens hier. Wenn Sie auch gerne unsere Presseschau zu Umwelt- und Klimaschutzthemen zugeschickt bekommen wollen, sollten Sie sich hier dafür eintragen – dann halten wir Sie montags bis freitags auf dem Laufenden. Wir freuen uns, wenn Sie dabei sind!

Schlagworte
Autorenbild
Anje Jager
Unterschrift
GPM
Untertitel
Was unseren Redakteur Thomas Merten diese Woche wurmt
Stichzeile
Wochenauslese
Text Credit Beschriftung
Text
Kachel Viel Text
Off
Hintergrundfarbe
#ffedd7
Startseiten Sortierung
-428
Unterschrift Text

Thomas Merten
Redakteur

Aktionsbild
Überschrift
Schon gelesen?
Überschrift
Schon fair eingekauft?
Überschrift
Schon abonniert?
Startseite Pinned
Aus
Startseiten Sortierung Backend
-422

Transformation auf Speed

Text

ein Protestcamp wurde geräumt. Das dauerte ein bisschen: Menschen hatten sich hoch in den Bäumen oder in Baumhäusern verschanzt, saßen auf sogenannten Mono- oder Tripods. Es ging um Klimaschutz. Ja klar, höre ich Sie sagen: Lützerath, Braunkohle, Tagebau Garzweiler.

Diesmal nicht. Die Räumung fand ein ganzes Stück weiter südöstlich statt, im Fechenheimer Wald, der zum Frankfurter Stadtgebiet gehört, und das Thema war ein anderes: 2,7 Hektar Forst mit rund 1000 Bäumen sollen für einen 1,1 Kilometer langen Tunnel fallen. Dieser soll die Autobahnen 66 und 661 verbinden und liegt etwas abseits der öffentlichen Wahrnehmung. Weniger Protestierende, weniger Prominenz, weniger Presse. Aber deshalb nicht unwichtig.

Hier haben wir nämlich ein weiteres Relikt des fossilen Zeitalters, das wir doch eigentlich hinter uns lassen wollten. Wer weiß, vielleicht passt es manchen ganz gut in den Kram, dass alle Scheinwerfer auf Lützerath gerichtet sind. Im medialen Halbschatten lassen sich gemütlich Tunnel bohren und Verkehrswege asphaltieren. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) ist sich jedenfalls mit sich selbst einig, dass es nicht nur an Schildern für Tempo 130 mangelt, sondern definitiv auch an Straßen, was sich seiner Ansicht nach dringend ändern muss.

Schaut man sich die Besetzungsliste des Autogipfels vom 10. Januar im Kanzleramt an, Tarnbezeichnung „Spitzengespräch der Strategieplattform Transformation der Automobil- und Mobilitätswirtschaft“ (O-Ton Regierungssprecher Steffen Hebestreit), dann sieht man: Mobilität ist hierzulande immer noch vor allem Automobilität. Anwesend waren bei dem Treffen mit ein, zwei Ausnahmen ausschließlich Vertreter und Vertreterinnen von Auto- und Zulieferindustrie plus Gewerkschaften. Bahn, ÖPNV und Fahrrad fanden hier nicht statt, sehr zum Missfallen der entsprechenden Verbände.

Es ging hauptsächlich darum, wie man mehr E-Autos auf die vielen schönen Straßen bringt, wie also das Ziel von 15 Millionen stromgetriebenen Pkw bis 2030 erreicht werden kann, die dann wohl zu den (bislang) 48 Millionen benzin- und dieselgetriebenen Privatfahrzeugen hinzukommen. Über den Abbau von Subventionen und Steuerbegünstigungen für Letztere wurde nicht gesprochen.

Mir als Radfahrerin und Gelegenheitsfußgängerin in der Stadt ist es ziemlich wurscht, ob mir ein strom- oder benzinbetanktes Auto Vorfahrt und Platz wegnimmt. Zwar sind neuerdings rote Streifen auf ein paar Straßen in meiner Umgebung gepinselt worden, auf denen ich jetzt ganz offiziell mit dem Rad fahren darf – sogar auf der Reeperbahn, dass ich das noch erleben darf! –, trotzdem wüsste ich gern, wie darüber hinaus die von mir und ähnlich Gesinnten ersehnte Straßenbefreiung und -befriedung aussehen könnte. Sitzen, flanieren, picknicken, plaudern, spielen, es ergäben sich ungeahnte Möglichkeiten.

Das geht nicht über Nacht, aber Instrumente wie Anwohnerparken und die generelle Verteuerung des Parkens würden helfen, denn die meiste Zeit fährt das Auto ja nicht, sondern steht herum. Oft sogar völlig kostenfrei auf einem der zahlreichen Parkplätze, die mit elf Quadratmetern etwa so groß sind wie ein Kinderzimmer und sehr viel größer als die meisten Gefängniszellen. Wie so eine Parkraumbewirtschaftung funktionieren kann, zeigt das Beispiel Tübingen. Dann wäre da noch der Ausbau des ÖPNV, bitte auch und gerade in ländlichen Gebieten, und die Sanierung der Bahn.

Über einen Mangel an klima- und energiepolitischen Großbaustellen können wir uns auch abseits der Verkehrswege nicht beklagen. Stromleitungen. Windräder. Wasserstofftechnik. Sowie, sozusagen als Unterbau, das im Oktober angekündigte und bislang schmerzlich vermisste Energieeffizienzgesetz. Und damit auch wirklich jede Kommune bei der Transformation mitmachen kann, fordern Gewerkschaften, Umweltorganisationen, Sozial- und Kommunalverbände eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes, denn bislang darf der Bund den Klimaschutz auf kommunaler Ebene nicht mitfinanzieren.

Da trifft es sich, dass Justizminister Marco Buschmann (FDP) soeben das „LNG-Tempo“ als neue „Richtgeschwindigkeit bei Planung und Genehmigung“ proklamiert hat. Fein. Nun gilt es noch eine Formel zu finden, die bei Infrastrukturprojekten den Klima- und Umweltschutz sowie die Hebung der Lebensqualität priorisiert. Nicht dass mir nachher der Straßenbau als kleinster gemeinsamer Nenner rauskommt. Sollen sich mal mathematisch Begabtere damit beschäftigen. Meinetwegen darf das Ergebnis gern im Bereich von 2 LNG liegen, mindestens.

Wenn Sie mögen, leiten Sie diese Wochenauslese gerne weiter. Abonnieren können Sie sie übrigens hier. Wenn Sie auch gerne unsere Presseschau zu Umwelt- und Klimaschutzthemen zugeschickt bekommen wollen, sollten Sie sich hier dafür eintragen – dann halten wir Sie montags bis freitags auf dem Laufenden. Wir freuen uns, wenn Sie dabei sind!

Autorenbild
gpm
Unterschrift
GPM
Untertitel
Redakteurin Kerstin Eitner fordert: Höchstgeschwindigkeit, aber bitte nicht für Straßen
Stichzeile
Wochenauslese
Text Credit Beschriftung
Text
Kachel Viel Text
Off
Hintergrundfarbe
#fffdef
Startseiten Sortierung
-424
Unterschrift Text

Kerstin Eitner
Redakteurin

Überschrift
Schon gelesen?
Überschrift
Schon fair eingekauft?
Überschrift
Schon abonniert?
Startseite Pinned
Aus
Startseiten Sortierung Backend
-420

Die Zeit der Kanarienvögel

Text

Normalerweise liebe ich den Moment im Jahr, wo ich frühmorgens zum ersten Mal bewusst die Vögel zwitschern höre: Ein fröhliches Konzert als Vorbote der wärmeren Zeit und der längeren Tage, jetzt kann es endlich losgehen mit dem leichteren Teil des Lebens, ohne dicke Wintermäntel und feucht gefrorene Mützen. Allerdings hätte ich nicht erwartet, dass mich dieser Moment 2023 bereits am zweiten Sonntag des Jahres ereilen würde. Es war warm wie im März und der erst eine Woche zurückliegende Silvestertag, an dem die bisherige deutsche Rekordtemperatur von bislang 17 auf unfassbare 21 Grad kletterte, wirkte auf einmal nicht mehr wie eine verrückte Ausnahme, sondern wie das neue Normal.

Nun weist mein Kollege Wolfgang Hassenstein mich ornithologischen Voll-Laien darauf hin, dass morgendliche Vogelstimmen im Januar durchaus nicht unüblich sind. Als studierten Biologen und federführenden Redakteur unserer kommenden Ausgabe, in der es passender Weise um die Welt der Vögel geht, vertraue ich ihm da voll und ganz. 

Gleichwohl haben auch seine Recherchen ergeben, wie sehr das Leben der Vögel nicht nur in unserem Land in der jüngeren Vergangenheit durcheinander geraten ist. Das Verschwinden klassischer Lebensräume setzt ihnen ebenso zu wie die ungebremste Intensivlandwirtschaft, die ihre Speisepläne aus Würmern, Insekten und anderen Kleintieren ausradiert. Die Klimakrise lockt viele Zugvögel deutlich eher zurück und kann zu weiteren Nahrungsengpässen führen. Arten wie das Alpenschneehuhn, das es kalt und winterlich liebt, oder der Große Brachvogel, der es im Sommer feucht und nicht ganz so heiß mag, haben es ebenfalls schwer. Und auch meinem geschätzten Kollegen Hassenstein kommt das Vogelkonzert in diesen Tagen besonders laut vor. Dieser Winter ist nicht mehr normal.

Lützerath als Menetekel

Mich erinnert das gefühlte Frühlingskonzert im Januar an die Geschichten von den Kanarienvögeln, die früher von den Bergleuten mit in den Stollen genommen wurden. Ihre Atmung reagiert auf Kohlenmonoxid extrem empfindlich. Bereits eine geringe Veränderung des Luftgemisches genügt, dass die kleinen Tiere in Ohnmacht fallen – ein perfektes Frühwarnsystem, das die Arbeiter unter Tage auf gefährliche Gase hinwies und viele vor dem sicheren Tod bewahrte. Heute reagiert man auf die offenkundige Unordnung in der Natur mit all ihren Warnsignalen eher ungehalten. Jedenfalls haben sich die maßgeblichen Kräfte in Politik und Wirtschaft, die wirklich etwas verändern könnten, offenbar entschieden, die Kanarienvögel unserer Zeit einfach zu ignorieren.

Der Abschied der grünen Regierungspartei vom Klimaschutz, der sich diese Woche in Lützerath manifestierte, dieses traurige Auseinanderklaffen zwischen moralischem Anspruch und latenter Handlungsunfähigkeit bei ihren führenden Köpfen, werden nicht erst die „kommenden Generationen“ ausbaden, um die es in der politgrünen Weihrauchrhetorik angeblich immer geht. Sondern wir alle, heute schon. 

Es gehört wenig Fantasie dazu, für 2023 ein weiteres Jahr vorherzusagen, an dessen Ende klimakrisenbedingte Wetter- und andere Umweltkatastrophen Schäden in der Höhe von Hunderten Milliarden Euro verursacht haben werden. Jedes totgetrocknete Waldstück im kommenden deutschen Sommer, jede neue „Jahrhundertflut“, die Existenzen zerstört und Leben kostet, wird eben auch der grünen Unlust geschuldet sein, Klimakrisengewinnlern wie dem RWE-Konzern endlich Einhalt zu gebieten. 

Green Deal

Warum Lützerath so viel mehr ist als „ein Dorf, in dem kein Mensch mehr wohnt“ (Robert Habeck am Mittwochabend im ZDF), können Sie hier, hier und hier noch einmal in Ruhe nachlesen. Zusammengefasst: RWE darf bis 2030 deutlich mehr Braunkohle verfeuern als ursprünglich selbst vom Unternehmen erwartet und kommt so um das Problem herum, dass dies aufgrund der CO2-Preiserhöhungen im Europäischen Emissionshandel ab 2030 ohnehin unprofitabel werden würde. Die eigentlich beschlossene Stilllegung zweier Kohlekraftwerke wird aufgeschoben – die Milliardenprämie für die Schließung aus Klimaschutzgründen bekommt der Essener Konzern aber trotzdem. Das nennt man dann wahrscheinlich aktive grüne Sozialpolitik.

Man braucht seit dieser Festwoche für die Braunkohleverbrennung keinen Taschenrechner, um vorauszusagen, dass das grün mitregierte Deutschland auch 2023 wieder seine – völkerrechtlich übrigens verbindlichen – Klimaschutzziele krachend verfehlen wird. Auf Druck der klimaschädlichsten deutschen Unternehmen werden wohl auch in diesem Jahr keine wirklich wirksamen Gesetze zum Energiesparen und zur Ressourceneffizienz in der Industrie verabschiedet. Von einem Durchbruch in der bislang klimaschutzresistenten deutschen Verkehrspolitik ganz zu schweigen. Nicht einmal das. 

Sie kommen einfach nicht voran, da können noch so viele Kanarienvögel tot von der Stange fallen. Oder die Vöglein schon im Januar singen so laut singen als wäre grad der Mai gekommen.

Schlagworte
Autorenbild
Anje Jager
Unterschrift
GPM
Untertitel
Unser Redakteur Fred Grimm über Frühwarnsysteme der Natur und die Unlust der Grünen
Stichzeile
Wochenauslese
Text Credit Beschriftung
Text
Kachel Viel Text
Off
Hintergrundfarbe
#defbff
Startseiten Sortierung
-421
Unterschrift Text

Fred Grimm
Redakteur

Überschrift
Schon gelesen?
Überschrift
Schon fair eingekauft?
Überschrift
Schon abonniert?
Startseite Pinned
Aus
Startseiten Sortierung Backend
-417
abonnieren