Ohne Sie geht es nicht

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alles, was man zu diesem, seinem Ende entgegen taumelnden Krisenjahr 2022 hätte sagen können, hat meine Kollegin Kerstin Eitner vergangenen Freitag in ihrer unvergleichlichen Art bereits getan. Ich möchte kurz vor den Festtagen noch ein großes Dankeschön hinterher schicken. An Sie, die vielen Bezieherinnen und Bezieher der Wochenauslese, von denen die meisten zugleich auch unser Magazin abonniert haben und so unsere journalistische Arbeit überhaupt erst möglich machen.

Es war kein einfaches Jahr für alle, die an die Wichtigkeit und Schönheit glauben, regelmäßig ein gedrucktes Heft zu verschicken. Die Papier- und Logistikpreise stiegen in atemberaubende Höhen und wir, die wir als Greenpeace Magazin keine Anzeigen annehmen, sondern uns ausschließlich durch unsere Leserinnen und Leser finanzieren, versuchen das so gut wie möglich abzufangen, ohne an der gewohnten Qualität zu sparen.

Schönheit und Schrecken

Für uns ist es auch im Zeitalter der digitalen und sozialen Medien wichtig, durch unser Magazin alle zwei Monate die Zeit anzuhalten, Themen zu vertiefen, Zusammenhänge aufzuzeigen und anschaulich zu machen. Gedrucktes entfaltet eine ganz andere Kraft, etwa in unseren großzügigen Fotostrecken, in denen intensive Bilder wie die des italienischen Duos Valentina Piccini und Jean-Marc Caimi über den verseuchten Fluss Sarno und die Menschen, die an ihm wohnen, den stillen Schrecken in eindringlichen Fotografien dokumentieren (Heft 5.2022). Was Flucht für die Fliehenden wirklich bedeutet, teilt sich in der Fotoreportage von Nicolo Filippo Rosso aus Venezuela anders mit als das in Worten möglich wäre (Heft 4.2022). Staunen lassen einen die faszinierenden Bilder, die für eine Geschichte aus der Unterwasserwelt in unserem Meeres-Heft zusammengetragen wurden (Heft 6.2022). Unsere engagierte Fotoredaktion hat mit ihrer Arbeit auch in diesem Jahr geholfen, die Bedrohung und die Faszination dieser Welt sichtbar zu machen und Menschen zu zeigen, die sie bewahren wollen. Ein Magazin wie das unsrige ist eine der besten Möglichkeiten, diese Geschichten über unsere Welt so zu erzählen, dass sie im Gedächtnis bleiben.

Wir bemühen uns, in unserem Heft und regelmäßig auch in dieser Wochenauslese, auf Probleme hinzuweisen und mögliche Lösungen zu skizzieren. In einem Jahr wie diesem kann man dabei schon manchmal etwas müde werden – oder, ganz im Gegenteil: hellwach. Wie unter einem Brennglas erleben wir gerade ökologische, ökonomische und soziale Kipppunkte auf allen möglichen Gebieten. Und alle eint, dass seit Jahren genau vor diesen immer wieder gewarnt worden ist. Unser Gesundheitssystem steht kurz vor dem Zusammenbruch, bei der Kinderversorgung sind wir womöglich schon einen Schritt weiter. Ausgelöst durch das, was Gesundheitsminister Karl Lauterbach verschämt „Ökonomisierung der Medizin“ nennt. 

Wunderglaube und Profit

Man kann auch „Kapitalismus“ dazu sagen, dem Mechanismus maximalen Profitstrebens, bei dem Mensch, Natur, Vernunft oder alles gleichzeitig auf der Strecke bleiben. Die „Märkte“, längst alles andere als frei, regeln angeblich allein, was wir brauchen und alles wird gut, lautet der Wunderglaube. Ich denke mal, es ist wahrscheinlicher, dass am Samstag der Weihnachtsmann doch noch persönlich in Ihren Wohnzimmern auftaucht, als dass dieses Prinzip wirklich zum Wohle aller funktioniert. 

Es „lohnt“ sich für renditenorientierte Pharmaunternehmen und Krankenhausgesellschaften schlicht nicht, Patientinnen und Patienten vernünftig zu versorgen oder ausreichend günstige Medizin bereit zu halten, für die Kleinsten schon gar nicht. Es „lohnte“ sich auch für die Deutsche Bahn, die jahrelang auf Börsenfähigkeit getrimmt wurde, kurz- und mittelfristig nicht, ihr Schienennetz zu pflegen und genug Menschen für den eigenen Bedarf auszubilden. Oder gar Werkstätten und genug funktionierende Züge vorzuhalten. Es „lohnt“ sich auch für die mittlerweile börsennotierte Post nicht, die Mitarbeitenden anständig zu bezahlen und deren Arbeit so zu gestalten, dass sie auch zu bewältigen ist. Mit dem Ergebnis, dass heute immer weniger Briefe pünktlich ankommen und erst recht kein Zug. Das System ökologischer und menschlicher Ausbeutung funktioniert einfach nicht auf Dauer, weil das Gesetz der Nachhaltigkeit ihm zuwiderläuft. Irgendwann sind die Ressourcen erschöpft, die Mitarbeitenden weg, die Kundschaft zahlungsunfähig und es gibt nichts mehr, was sich noch irgendwie versilbern lässt. Unternehmen aus der Grundversorgung, die „sich rechnen müssen“, rechnen sich einfach nicht.

Konsequenzen neu denken

Und wie bei der Post, Bahn oder im Gesundheitssystem die warnenden Stimmen seit Jahrzehnten zu vernehmen waren, reden sich viele kluge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie viele weitere Expertinnen und Experten seit langem den Mund fusselig, dass unser Wirtschafts- und Konsumsystem auf Sicht die Erde ruiniert, die Artenvielfalt zerstört und Menschen in Hunger und Flucht treibt, weil es genau diese Zerstörung belohnt. Noch nie haben Öl- und Gaskonzerne mehr Geld verdient als in diesem Krisenjahr. Allein Saudi-Arabiens Aramco machte in einem einzigen Quartal 47,2 Milliarden Euro. Reingewinn. Dafür lag der Ausstoß an Treibhausgasen weltweit auch noch nie so hoch wie 2022.

Vielleicht müssen wir nach Jahrzehnten der Warnungen und vor allem mit Blick auf das aktuell so sichtbare Versagen der „Ökonomisierung“ die Konsequenzen neu denken. Vielleicht sollten wir Klimakrise und Verlust der Biodiversität und Lebensräume als Verbrechen behandeln und nicht mehr als etwas, das einfach so geschieht. So könnte die Frage, ob wir den Verursachern in den fossilen Industrien, also jenen, die als Verantwortliche immer noch Milliarden in den Abbau immer neuer Öl-, Gas- und Kohlefelder investieren, nicht eigentlich als „Täter“ mit Rechtsmitteln beikommen müssten, die kommenden Jahre prägen. Anstatt über Weihnachten jene in Beugehaft zu nehmen, die an dieser Situation verzweifeln. Denn wenn man es recht bedenkt, sitzen die eigentlichen kriminellen Vereinigungen in einigen angenehm klimatisierten Vorstandsetagen dieser Welt. 

In den Wartezimmern bei Kinderärztinnen, in überfüllten Zügen, auf der vergeblichen Suche nach bezahlbarem Wohnraum – auch das ein wunderbares Exempel für die Dysfunktion unserer „Markt“wirtschaft – kann man gerade erleben, was es heißt, wenn man diesen Gruppen und ihrer Ideologie die Macht und Deutungshoheit wundergläubig überlässt.

Bleiben Sie wach und genießen Sie die Feiertage im Kreise Ihrer Liebsten! Ihre Wochenauslese kommt wieder am 6. Januar.

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Licht und Schatten

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2022 – ein annus horribilis, wie die im September verstorbene Queen das Jahr 1992 nannte? Vieles spricht dafür: Russlands Überfall auf die Ukraine, Energiekrise, Inflation, Corona-Folgen, brüchige Lieferketten, die fortschreitende Erderhitzung, eine Weltklimakonferenz mit äußerst dürftigen Ergebnissen. Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!, werden sich viele sagen.

Nicht lange nach dem 24. Februar wurde klar, dass Deutschland sich energiepolitisch von Putin nach allen Regeln der Kunst über seinen sehr, sehr langen Tisch hat ziehen lassen, unter freundlicher Mithilfe der deutschen Energiekonzerne sowie diverser Bundesregierungen. Statt Atomausstieg zum 31.12.2022 und zügigem Abschied von der Braunkohle wurden die Mottenkugeln eilends wieder zur Seite gelegt.

Im März sprach Finanzminister Christian Lindner (FDP) von „Freiheitsenergien“ und meinte die Erneuerbaren, im März fädelte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einen Gas-Deal mit Katar ein. Flüssiggasterminals entstanden in sagenhafter Geschwindigkeit, Abermilliarden flossen und fließen weiterhin in die Erschließung neuer fossiler Energiequellen, statt eines Tempolimits gab es Tankrabatt, und während des extrem heißen Sommers versuchte die Bundesregierung eher halbherzig, die Deutschen schon mal auf einen Energiespar-Winter einzuschwören. Begriffe wie „Gasmangellage“ und „Blackout“ machten die Runde. In der Ostsee rissen Explosionen Löcher in die Nord-Stream-Pipelines. Alles kein Vergleich mit dem, was in der Ukraine tagtäglich geschieht.

Jammern und Klagen führt aber leider nur zu Stirnfalten und schlechter Laune, und da ich zufällig nebenberuflich im Silberstreifengeschäft arbeite, möchte ich Sie ungern ohne einen solchen ins neue Jahr verabschieden. Denn ein paar gar nicht mal so kleine energetische und klimapolitische Lichtblicke gab es tatsächlich auch.

An den Sommerhit des Jahres erinnern Sie sich bestimmt: das 9-Euro-Ticket, mit dem man im Juni, Juli und August kreuz und quer durch Deutschland gondeln konnte. Da ließen sich viele nicht zweimal bitten. 52 Millionen Tickets wurden verkauft, 1,8 Millionen Tonnen CO2 eingespart.

Mit leichter Verspätung verabschiedete der Bundestag am 7. Juli das sogenannte Osterpaket, ein ganzes Bündel energiepolitischer Maßnahmen. Unter anderem soll die Stromversorgung bis 2035 fast ausschließlich aus erneuerbaren Energien kommen.

Deutschland allein kann den Klimawandel nicht aufhalten, aber auch anderswo geschahen interessante Dinge: Ende Mai wurde in Australien der konservative Premierminister Scott Morrison, ein knallharter Klimaleugner, abgewählt. Sein sozialdemokratischer Nachfolger Anthony Albanese hatte den Klimawandel zum Wahlkampfthema gemacht und versprach nach seinem Sieg, das Land (dessen Pro-Kopf-Emissionen an Treibhausgasen höher liegen als die der USA) zu einer „Supermacht der erneuerbaren Energien“ zu machen.

US-Präsident Joe Biden seinerseits ließ sich auch nicht lumpen: Mit dem Inflation Reduction Act sollen 369 Milliarden Dollar in erneuerbare Energien fließen (aus europäischer Sicht allerdings mit dem Schönheitsfehler, dass bei dem Konjunkturprogramm nur amerikanische Firmen zum Zuge kommen sollen – Europa fühlt sich ausmanövriert, Beratungen und Verhandlungen sind im Gange). Ende Oktober gewann in Brasilien Lula da Silva knapp die Präsidentschaftswahl. Er hat versprochen, dem Klimaschutz Priorität einzuräumen und die illegale Abholzung des Regenwaldes zu stoppen.

Im November kehrte Deutschland wie zuvor schon Italien, Polen, Spanien, die Niederlande, Frankreich und Slowenien der Energiecharta den Rücken. Weil sich für eine Änderung des umstrittenen Vertragswerks keine Mehrheit findet, steht es vor dem Aus. Es sichert die Investitionen der fossilen Industrien und erlaubt es etwa Atom- und Kohlefirmen, Regierungen bei einem Ausstieg aus diesen Energien auf hohe Entschädigungssummen zu verklagen. Kurz vor Jahresende beschloss die EU noch einen Klimazoll, der für Produkte erhoben werden soll, wenn asiatische oder amerikanische Hersteller nicht für den Ausstoß von Treibhausgasen zahlen mussten.

Und schließlich – Tusch! Fanfare! – lockert Bayern seine strenge Abstandsregelung für Windräder. Muss man da nicht Hoffnung schöpfen und an eine Zeitenwende glauben? „Zeitenwende“ wurde vergangene Woche zum Wort des Jahres erkoren und schlug Konkurrenten wie Gaspreisbremse und Doppelwumms aus dem Felde. Glück gehabt, es hätte ja auch die, Achtung, Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung, kurz EnSikuMaV, werden können.

Ob 2022 nun grottenschlecht oder doch ganz ordentlich war, hängt für jede und jeden Einzelnen natürlich auch von der persönlichen Situation ab. Mögen die Zeiten sich 2023 für alle und auf allen Ebenen zum Guten oder wenigstens zum Besseren wenden.

Sofern Sie über die Feiertage ein bisschen Muße haben, werfen Sie doch mal einen Blick in diese Erzählungen zum Klimawandel von A-Z aus dem New Yorker. Sie lassen sich auch gut häppchenweise lesen. Sollte Ihnen eher nach Herzerwärmendem zumute sein, dann versuchen Sie es mal hiermit.

Wir lesen uns dann irgendwann im neuen Jahr wieder. Kommen Sie gut rein. Geht auch ohne Böller und Raketen.

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Redakteurin Kerstin Eitner blickt zurück auf einige Geschehnisse des Zeitenwendejahrs 2022
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Über Unfassbares

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haben Sie auch manchmal den Eindruck, dass es große Widersprüche gibt zwischen den Äußerungen manch eines Politikers und den tatsächlichen Ereignissen in diesem Land? Zum Beispiel diese Woche.

Am Montag erklärte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) im Deutschlandfunk, warum die Innenministerkonferenz beschlossen hat, ein bundesweites Lagebild der Klimaprotestgruppe „Letzte Generation“ zu erstellen. Mit ihrem organisierten Vorgehen komme die Gruppe „in die Nähe von dem Verdacht, eine kriminelle Vereinigung zu sein“, sagte Reul. Einigen Linksextremen dort gehe es um die „Überwindung des Systems“. Die „Klima-RAF“ lässt grüßen. (Auch wenn Reul diesen von CSU-Mann Alexander Dobrindt geprägten Begriff nicht in den Mund nahm.)

Und am Mittwoch dann? Flog eine extremistische Verschwörung auf, die tatsächlich das System „überwinden“ wollte – allerdings von rechts.

In den frühen Morgenstunden hatten Spezialkräfte der Polizei in elf Bundesländern mehr als 130 Wohnungen, Büros und Lagerräume durchsucht, darunter auch die Kaserne des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Baden-Württemberg. Zwei Dutzend Frauen und Männer wurden festgenommen. Sie werden verdächtigt, einer rechten Terrororganisation anzugehören und einen Umsturz in Deutschland geplant zu haben. Mehr als 3000 Beamtinnen und Beamte waren dafür im Einsatz, eine der größten Polizeiaktionen gegen Extremismus, die es jemals in Deutschland gegeben hat. Unter den Verdächtigen sind eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete mit Zugang zum Bundestag, ein Mitglied der KSK sowie ein aktiver und einige ehemalige Bundeswehrsoldaten.

Zwar sei ein Staatsstreich sehr unwahrscheinlich, sagt der Rechtsextremismusforscher Miro Dittrich über die Gruppierung, doch er spricht von einer ernstzunehmenden Bedrohung: „Es hätte sicher Tote gegeben.“

Das Krebsgeschwür unserer Gesellschaft

Am Mittwoch also beschlich mich wieder mal der Eindruck, dass manche Debatten an den realen Gefahren vorbeilaufen – in diesem Fall war es die offensichtliche Diskrepanz zwischen herbeigeredetem linkem „Klimaterror“ und gerade noch verhindertem Terror von rechts.

Wie real diese Gefahr ist, zeigen nicht zuletzt die zahlreichen Verbrechen der vergangenen Jahre. Die Messerattacke gegen die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker 2015, das tödliche Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019, im selben Jahr der Anschlag auf eine Synagoge in Halle und die Ermordung von neun Menschen in Hanau durch einen Rechtsextremisten im Februar 2020, um nur einige zu nennen. Ganz zu schweigen von den zehn Morden des NSU in den Jahren 2000 bis 2011.

Der aktuelle Fall zeigt aber auch, dass Rechtsextreme nicht nur die „klassischen“ Glatzen mit Springerstiefeln sind, sondern in der Mitte der Gesellschaft stehen – teils sogar im Innersten deutscher Sicherheitsbehörden. Die New York Times veröffentlichte bereits im vergangenen Jahr den außerordentlich gut recherchierten und produzierten Podcast „Day X“ über Rechtsextremisten in der Bundeswehr und in der deutschen Polizei, die sich auf den Tag vorbereiten, an dem die Demokratie fallen soll – den Tag X. Es handelt sich demnach nicht um einzelne „Verirrte“, sondern um ein ganzes Netzwerk, das sich über Chatgruppen organisiert, Todeslisten schreibt und von der Zerstörung unserer Gesellschaft fantasiert. „This is a cancer“, sagt der ehemalige Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland und heutige Chef des Thüringer Verfassungsschutzes Stephan J. Kramer in diesem Podcast. Der Rechtsextremismus und sein Gedankengut seien in Deutschland wie ein Krebsgeschwür verwurzelt.

Wenn dieser Tage also von Terror und Umsturz die Rede ist, sollte sich jeder und jede genau überlegen, wen er oder sie damit meint. Oder wie es Katrin Höffler, Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig, bewusst polemisch formuliert: „Anders als bei Rechtsextremisten ist (...) nichts darüber zu lesen, dass sich die Klimaprotestierenden auf speziellen Klima-Konzerten aufputschen, um dann Autofahrer*innen 'klatschen' zu gehen oder Museen zur Hauptbesuchszeit anzuzünden.“

Fridays for Frogs

Ursprünglich wollte ich in dieser Wochenauslese ausführlich über die Weltnaturschutzkonferenz schreiben, die am Mittwoch im kanadischen Montréal begonnen hat. Sie ist es wert, auf allen Kanälen zu laufen. Denn die CBD COP, wie sie in Fachkreisen heißt, ist das Natur-Pendant zur jährlichen Klimakonferenz – weniger bekannt aber nicht minder dringlich. Sie hätte schon vor zwei Jahren im chinesischen Kunming stattfinden sollen, wurde aber aufgrund der Pandemie zunächst verschoben und dann nach Kanada verlegt. Biodiversitätsexpertinnen und -experten erhoffen sich von ihr eine Art Paris-Moment, ein ehrgeiziges Abkommen zum Schutz der Arten und der biologischen Vielfalt, mit dem das sechste Massenaussterben doch noch verhindert werden soll.

Ich lege Ihnen dazu sehr die Lektüre unseres Heftes aus dem Sommer ans Herz, das wir „Mission Vielfalt“ getauft haben. Warum die Artenkrise keine Greta Thunberg, kein Fridays for Frogs habe, haben darin meine Kollegin Katja Morgenthaler und mein Kollege Wolfgang Hassenstein den bekannten Biologen Josef Settele gefragt. „Ist das Thema schwerer zu fassen?“ Seine Antwort: „Es ist unfassbar.“

Das ganze Interview mit Settele finden Sie übrigens auch frei zugänglich online auf unserer Website. Vielleicht haben Sie an diesem dritten Adventswochenende Zeit, es zu lesen. Wir freuen uns immer, wenn Sie uns besuchen!

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An alle Transformers!

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kürzlich schrieb uns ein Leser, der in Finnland lebt. Seit Jahrzehnten unterstützt er Greenpeace. Ideell – und mit Aktionen. Er war dabei, als Aktivistinnen und Aktivisten in diesem März in einem finnischen Güterbahnhof drei russische Kohlezüge eines Nachts mit den Slogans „NO COAL“, „NO WAR“ und „НЕТ ВОЙНЕ“ bepinselten. Die Züge rollten mit Antikohle- und Antikriegsbotschaft zurück nach Russland. Und der Leser fuhr seine Mitstreitenden im Kleinbus zurück nach Helsinki. Im Wagen, schreibt er, roch es ironischerweise nach „panssarimaali“, Panzerfarbe, die auch auf Güterzügen gut hält. Der Mond schien, die Leute schliefen und er, der Fahrer, hing seinen Gedanken nach.

„Für mich war der Name Greenpeace immer Programm“, schreibt er. Zum einen gebe es „keine sinnvolle Alternative zu einem bedingungslosen, grünen Weltfrieden“. Zum anderen glaube er, dass die Chance dafür „noch nie so gut war wie jetzt“. Er schrieb von der „Machbarkeit des Wandels“ und „glücklich machenden Pionierprojekten“. Als uns diese Zeilen erreichten, war das neue Greenpeace Magazin gerade in Druck gegangen. Sie passen gut zum Titelthema des Heftes, das heute erscheint – zum sozialökologischen Wandel, der ohne jede Übertreibung auch die Große Transformation genannt wird.

Kein Zurück auf Normal

Vielleicht standen die Chancen für den Wandel zur post-fossilen Gesellschaft, für die Rettung unserer Zukunft wirklich nie so gut wie jetzt. Vielleicht ist der entsetzliche Krieg einer Diktatur, die ihre Macht auf Kohle, Öl und Gas gründet, der Anstoß, auch den anderen entsetzlichen Krieg zu beenden: den Krieg der Menschen gegen das Klima. Beide Kriege sind fossiler Natur, und beide sind am Ende selbstzerstörerisch.  Aber reicht der Schrecken dieses Krisenjahres, damit Politik und Gesellschaft aufhören, Normalität zu simulieren, wo längst keine mehr ist? Werden wir uns der Tatsache stellen, dass es ein Zurück zum alten Normal nicht gibt?

Drei Tage nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine schien es einen Moment lang so. Damals sprach FDP-Chef Christian Lindner im Bundestag von Erneuerbaren als „Freiheitsenergien“. Es klang, als würde nun der Turbo für den grünen Frieden gezündet – zumindest erstmal für Windräder und Solarpaneele. Neun Monate später sind Genehmigungsrekorde aber vor allem für Flüssiggas-Terminals zu verzeichnen. Die Debatte, ob Deutschland selber fracken sollte, ist wieder auf dem Tisch. Im Abschlussprotokoll der Weltklimakonferenz fehlen die wichtigen Worte Öl- und Gasausstieg. Und Anfang dieser Woche – die Nationalelf schmorte noch bei Rekordhitze in der Winterwüste – sagte Qatar Energy Gaslieferungen nach Brunsbüttel zu. Keine riesigen Mengen, aber doch. Der viel kritisierte LNG-Deal läuft von 2026 bis 2041 – wenn Deutschland fast schon klimaneutral sein muss. Gerade entsteht also fossile Infrastruktur für Jahrzehnte, in denen sie nichts mehr zu suchen hat. Und ob sie auf Wasserstoff umgerüstet werden kann, wird von Fachleuten bezweifelt.

Wie geht Transformation?

Angesicht der Tendenz zum Festhalten am Alten haben wir in der Redaktion uns etwas verzagt gefragt, ob und wie die Große Transformation gelingen kann. Im Meckerteil unserer neuen Ausgabe zeigen wir unter anderem, wohin mehr als sechzig Milliarden Euro umweltschädliche Subventionen im Jahr fließen. Und mein Kollege Fred Grimm zeichnet in einem Report nach, wie die Regierungen der Merkel-Ära die Energiewende ausgebremst haben. Für die Recherche hat er unter anderem Peter Altmaier (CDU) getroffen, der im fraglichen Jahrzehnt mehrere relevante Ministerämter innehatte. Es waren interessante Gespräche.

Aber kommen wir zur Machbarkeit des Wandels und glücklich machenden Pionierprojekten! Thomas Merten ist für das neue Heft nach Wunsiedel gefahren und berichtet aus einer Kommune im Fränkischen, die weder reich noch schön ist, aber mit klugen Konzepten, Mut und Zusammenhalt in Richtung Energieautarkie strebt. Meine Kollegin Frauke Ladleif und ich haben mit der Zweiten Vorsitzenden der IG-Metall Christiane Benner und Wuppertals grünem Oberbürgermeister Uwe Schneidewind darüber gesprochen, was gegen die Angst vor Veränderung hilft – Schilderungen aus dem Maschinenraum der Transformation. Außerdem retten wir im neuen Greenpeace Magazin die Ehre eines utopischen Ortes, der oft als Schimpfwort herhalten muss: Bullerbü. Und wir zeigen, was Deutschland von anderen Ländern lernen kann.

Was Sie sonst noch wissen müssen

Neben dem Schwerpunkt haben wir für dieses Heft einen konventionellen Bauern besucht, der seinen Schweinen ihren Ringelschwanz lässt. Wir waren in Würgassen an der Weser, wo ein umstrittenes Zwischenlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle entstehen soll, um Deutschlands Atommüllchaos zu bändigen. So viel sei verraten: Es ist erstaunlich, was alles so übrigbleiben wird, wenn das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht. Und wir kümmern uns um tierfreie Weihnachtsbraten sowie die Frage: Wie gesund ist vegetarischer und veganer Fleischersatz – und warum ist der oft noch teurer als Fleisch?

Es erscheint mir übrigens verrückt, wie normal sich dieser Advent für uns im reichen Westen trotz Energiekrise bisher anfühlt. Inklusive Festbeleuchtung. Wie alle Jahre wieder beschäftigen uns Glühweinpreise, Wunschzettel und Menüplanung. In Kiew funkeln indessen nicht einmal sparsame LED-Sterne in den Straßen. Denn in der Ukraine lässt Putin gezielt lebenswichtige Infrastruktur bombardieren. Er benutzt, wie Nato-Generalsekretär Stoltenberg diese Woche sagte, den Winter als Waffe. Das ist – in den Worten des Gouverneurs der Oblast Kiew – „Energieterror“. In den nächsten Wochen werden deshalb wieder viele Menschen fliehen, auch nach Deutschland. Sie werden unsere Hilfe brauchen. Vielleicht haben Sie ja ein Zimmer frei?

Der Leser aus Finnland, der uns schrieb, wohnt in einer Jurte. Er betreibt eine Solaranlage, sein Wasser schöpft er aus einem Brunnen. Auch sonst lebt er auf kleinem Fuß. Schon klar: Das können wir jetzt nicht alle so machen. Umso wichtiger wäre eine Gesellschaft, aus der man nicht aussteigen muss, um das Richtige zu tun.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit dem neuen Greenpeace Magazin und ein schönes Wochenende!

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