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Imagine there's no countries”, sang John Lennon 1971 in seiner stets unter Kitschverdacht stehenden Friedenshymne. Man stelle sich vor, keine Nationen mehr, für die man töten oder sterben müsste – das sei ja nicht schwer: „It isn’t hard to do.“ Doch. So schwer wie schon lange nicht. Heute, am 11. März, ist der 11. Jahrestag der Katastrophe von Fukushima. In der Ukraine kontrollieren russische Soldaten die Atomkraftwerke. Da stellt man sich ganz andere Dinge vor.

Vielleicht halten wir uns an Goethes „Faust – Der Tragödie Erster Teil“, als Faust Mephisto in seinem Studierzimmer vorfindet und ihn fragt, wer er ist. Er sei „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“, antwortet der. So scheint es auch Putin momentan zu ergehen. Er erreicht das Gegenteil dessen, was er anstrebt. Denn erstens hat sein Eroberungsplan bislang nicht besonders gut funktioniert, und zweitens herrscht seltene Einigkeit in der NATO, der EU, zwischen USA und Europa, wo sich die Menschen geradezu überschlagen in ihrer Bereitschaft, Geflüchtete aus der Ukraine ohne Wenn und Aber aufzunehmen und ihnen zu helfen.

Und auch diese Botschaft ist nun bis in den letzten Winkel vorgedrungen: Wir müssen so schnell wie möglich raus aus den fossilen Energien und ihren Abhängigkeiten, nicht nur wegen des Klimas, sondern auch aus sicherheitspolitischen Gründen. 200 Milliarden Euro für Klimaschutz und Energiesicherheit will die Ampelkoalition bereitstellen, das ist diese Woche ein bisschen untergegangen.

Man stelle sich vor, nun würde auch noch jemand auftauchen, der Putin ungestraft folgenden Vorschlag unterbreiten dürfte: „Wladimir Wladimirowitsch! Sie werden dieses Jahr 70. Möchten Sie nicht in den wohlverdienten Ruhestand gehen?“ Gerhard Schröder soll doch gerade in Moskau sein, vielleicht wäre er der Richtige dafür. Putin könnte mit Sergej Shojgu (derzeit Verteidigungsminister) auf die Jagd gehen, nach Herzenslust reiten, tauchen, fischen oder Harley fahren. Er sollte bei dem Rückzugsangebot zugreifen, damit er nicht am Ende gar im niederländischen Scheveningen landet – dann aber nicht zum Badeurlaub im Luxushotel, sondern zu einem längeren Aufenthalt in einer 10,4 Quadratmeter kleinen Gefängniszelle.

Bitte verzeihen Sie den kleinen Ausflug in die Welt des blühenden Unsinns. Kaum in die Realität zurückgekehrt, fängt das Grübeln wieder an: 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr! Ist das viel oder wenig? Muss das sein, oder könnte man es einfach lassen? Ich kann mich leider nicht auf ein gefestigtes Weltbild berufen, das mir erlauben würde, diese erstaunliche Volte entweder mit grenzenlosem Enthusiasmus zu begrüßen oder mit ebenso grenzenloser Verachtung abzulehnen.

Man kann darüber lachen, wenn Gewehre nicht schießen, Panzer nicht fahren und Bundeswehrangehörige sich Ferngläser bei Tchibo beschaffen, weil es bei der Truppe keine gibt, aber eigentlich ist das nicht lustig. Man stiege doch auch nicht gern in ein Auto mit kaputten Bremsen oder auf ein Fahrrad ohne Sattel. Vielleicht haben sich viele gedacht, die Rolle der Bundeswehr solle sich für alle Zeiten auf das Schleppen von Sandsäcken und das Aushelfen im Gesundheitsamt beschränken. Soviel ich weiß, hat sie aber die Aufgabe, das Land zu verteidigen, also uns alle. Unnötig? Seit dem 24. Februar können einem da Zweifel kommen.

Man stelle sich vor, wir würden überfallen, beschossen, belagert. In diesem Fall wäre ich sehr schnell sehr tot. Ich bin weder jung noch gesund und zum Überleben auf Zivilisation und medizinische Versorgung angewiesen. Fliehen wäre unmöglich, wohin auch. Es wäre mir ganz angenehm, wenn dann gut ausgebildete und ausgerüstete Leute mich verteidigen würden, denn ich selbst wäre dazu nicht in der Lage. Aber es sieht schlecht aus mit der Verteidigungsfähigkeit, ebenso mit dem Zivilschutz: Es gibt bei uns noch nicht einmal mehr Schutzräume. Brauchte man ja nicht mehr.

Gar keine Frage, verhandeln ist immer die bessere Option, auch wenn die ersten Versuche nicht gerade Anlass zu übertriebener Hoffnung geben. „Man muss den Punkt lokalisieren, der für beide Seiten eine Verständigung ermöglicht“, sagt Alexander Kluge. Es wird nicht leicht sein, den zu finden. Wenn es in dieser Zeit Heldinnen und Helden gibt, dann zählen für mich auch diejenigen dazu, die immer wieder zum Hörer greifen oder sich zu Beratungen treffen und nicht aufgeben. Weil sie wissen, dass es auf der Welt genau eine ganz und gar alternativlose Sache gibt: Frieden.

Das findet auch der Hamburger Verkehrsverbund HVV. An vielen Haltestellen gibt es elektronische Displays. Oben wird das Fahrziel angezeigt, unten die Minuten runtergezählt, bis der Bus oder die Bahn kommt, in der Mitte ist Platz für andere Botschaften. „Stoppt den Krieg!“, stand da letzte Woche, und darunter: „in 1 Minute“.

Imagine.

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Unsere Redakteurin Kerstin Eitner macht sich Gedanken über Krieg und Frieden, was denn sonst?
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Kerstin Eitner
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