Alarmstufe Pink

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Während ich diese Zeilen schreibe, laufen gerade die letzten Vorbereitungen für den Druck der nächsten Ausgabe des Greenpeace Magazins. Es erfordert viele kluge Köpfe, gute Augen und noch bessere Nerven, bis das Heft in der gewohnten Qualität vor Ihnen liegt. Und zwar so, dass die Bilder auch so aussehen wie die Fotografinnen und Fotografen sie wahrgenommen haben, dass sich die Texte auf den Seiten angenehm lesen und sich möglichst keine Fehler mehr finden, wenn Sie das Magazin aufschlagen. Die Namen dieser erfahrenen und zuverlässigen Helferinnen und Helfer aus unserer erweiterten Redaktionsfamilie finden Sie nicht über den großen Geschichten. Sie stehen eher klein im Impressum, aber das macht ihre Beiträge nicht weniger wertvoll. Denn ohne sie gäbe es das Greenpeace Magazin nicht. An dieser Stelle aus tiefstem Herzen einen riesigen Dank an die Fachkräfte aus Litho, Druck und Produktion!

Auf unsere kommende Ausgabe, die vorvorvorletzte, wieder mit viel Liebe produzierte, können Sie sich freuen. Sie werden eindrucksvolle Persönlichkeiten kennenlernen, die auf ihre Weise Besonderes für Menschen, Tiere und Natur leisten, sich für mehr Miteinander, für mehr Mut und Ermutigung einsetzen, aber auch dafür, dass Untaten nicht ungesühnt bleiben. In wenigen Wochen erfahren Sie mehr. 

Eher geringere Vorfreude auf die Zukunft macht diese Woche ein Bericht der World Meteorological Organization (WMO) zur Lage des Klimas: 2023 war das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, der globale mittlere Meeresspiegel erreicht infolge der Eisschmelzen Rekordhöhen und das Meer glüht. Knapp 40 Grad Wassertemperatur, wie sie vergangenen Sommer vor der Küste Miamis gemessen wurden, gefährden, nein, zerstören Ökosysteme und das meteorologische Gleichwicht. „Alarmstufe Rot“, verkündete WMO-Generalsekretärin Celeste Saulo bei der Vorstellung des Berichts in Genf. 

Man vergisst oft, dass Forschende aus den Naturwissenschaften im Allgemeinen nicht zur Panik neigen und Wetterforschende schon gar nicht. Sie wägen nüchtern ab, analysieren und definieren Wahrscheinlichkeiten. Da war jahrzehntelang immer auch viel Konjunktiv mit dabei, wenn es um die Auswirkungen des Klimawandels ging. Mit den neuen Erkenntnissen der WMO sind wir im Präsens gelandet.

Dass all dies in den Nachrichten mit der routinierten Gelassenheit der täglichen Katastrophenverkündung abmoderiert und im politischen Berlin weitgehend ignoriert wurde, mag auch daran liegen, dass die Lautesten im Lande gerade einen ganz anderen Aufreger ausgerufen hatten: Alarmstufe Pink! Denn das neue Auswärtstrikot der Fussballnationalmannschaft bewegt sich farblich irgendwo zwischen rosa, violett und pink. Heerscharen eher unsportlich wirkender Kommentatoren sehen damit das Ende der deutschen Männlichkeit gekommen, heimtückisch herbeigeführt von einer woke-femininen Geschmacksdiktatur, die unsere Fussballer der Lächerlichkeit preisgeben will. Vielleicht steckt denen mal jemand, dass der Beste beim Straßenrad-Etappenrennen Giro d'Italia – unbestritten einer der härtesten Sportwettkämpfe der Welt – mit einem – igitt! – ROSA Trikot belohnt wird. 

Aber noch einmal zurück zur verkündeten „Alarmstufe Rot“ angesichts der Klimakrise: Welche Farbe kommt eigentlich als Nächstes? Anders gefragt: Was genau an „Alarmstufe Rot“ ist nicht zu verstehen? Irgendetwas, das Menschen bei klarem Verstand weiter an der Klimakrise zweifeln oder immer noch glauben lässt, so schlimm werde es schon nicht werden, selbst bei weiterer Untätigkeit. Manchmal wünsche ich mir etwas von dem bräsigen Trotz eines Volker Wissing, Wolfgang Kubicki oder Christian Lindner und der vielen anderen, die sich immer noch weigern, anzuerkennen, dass die Zeit dafür vorbei ist, an Verbrennermotoren und Ölheizungen festzuhalten, CO2-Minderungen für Lastwagen zu blockieren, Renaturierungs- und Artenschutzprogramme zu bekämpfen, überhaupt alles, was auch nur irgendwie dazu beitragen könnte, die Klimawende doch noch zu schaffen. So ein Leben ohne Zweifel und voller Selbstbesoffenheit ist sicher einfacher zu führen als das einer Meteorologin, die beobachten muss, wie sich gerade die schlimmsten Klimaprognosen in Rekordgeschwindigkeit erfüllen.

Es fügt sich in die zufällige Gleichzeitigkeit einer Wochenauslese, dass pünktlich zur Veröffentlichung der WMO-Zahlen der mächtigste Öl- und Gaslenker der fossilen Welt noch einmal klarstellte, wie sein Unternehmen am hoch profitablen Projekt der Erdzerstörung auch zukünftig festhalten will. Auf einer Energiekonferenz in Houston, Texas, forderte Amin Nasser, Chef von Saudi Aramco, den Abschied vom Abschied. „Wir sollten uns von der Fantasie verabschieden, aus Öl und Gas auszusteigen, und stattdessen angemessen in sie investieren“, erklärte er unter tosendem Beifall. Das Geld, das derzeit in den Ausbau der erneuerbaren Energien fließt, solle lieber darauf verwandt werden, technische Lösungen für das Auffangen und Speichern der Emissionen zu finden. Ein naheliegender Vorschlag für den Vertreter einer Industrie, die tagtäglich mehr als 100 Millionen Euro für die Erschließung NEUER Öl- und Gasvorkommen ausgibt. Es ist ein bisschen so, als würde man Messerstechereien mit größeren Pflastern bekämpfen anstatt den Leuten endlich die Messer wegzunehmen.

Kurz tanzte in meinem Kopf der Gedanke, sämtliche Profiteure und Lobbyisten der fossilen Industrie sollten für ein paar Monate nur noch in pinkfarbenen Trikots öffentlich auftreten, damit sich die empörten Aufwallungen endlich mal auf die Richtigen konzentrieren. Nur so eine Idee.

Ich möchte Sie aber nicht ins Wochenende entlassen, ohne wenigstens auf eine herzerwärmende Geschichte, wenn auch eine mit sehr ernstem Hintergrund, hingewiesen zu haben. Es ist die Geschichte einer Frau, die mit Hilfe mehrerer Freiwilliger ein ehemaliges Testlabor für Versuchstiere in eine Art Rehaklinik für Hunde, Katzen und Co. umbaut, die sonst nach Ablauf der Versuchsreihen getötet worden wären. Das Konkrete zu tun, also den betroffenen Tieren zu helfen, ohne das Allgemeine – den Kampf gegen Tierversuche – aus dem Blick zu verlieren – vielleicht ist das ja ein guter, anregender Gedanke für die kommenden Tage. 

Ich wünsche Ihnen ein inspirierendes Wochenende!

Wenn Sie mögen, leiten Sie diese Wochenauslese gern weiter. Abonnieren können Sie sie übrigens hier. Und wenn Sie auch unsere Presseschau zu Umwelt- und Klimathemen lesen möchten, können Sie sich hier dafür anmelden – dann halten wir Sie montags bis freitags auf dem Laufenden. Wir freuen uns, wenn Sie dabei sind!

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Unser Redakteur Fred Grimm über die Farben der Empörung
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Der Green Deal welkt dahin

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es war einmal – so lange ist das noch gar nicht her – ein European Green Deal, der perspektivisch ein kräftig grün leuchtendes Europa versprach: keine Verbrenner mehr, eine weltumspannend umwelt- und menschenfreundliche Produktion und sogar, man rieb sich die Augen, eine deutlich klimafreundlichere Landwirtschaft. „Mann-auf-dem-Mond-Moment“, Klimaneutralität bis 2050 pipapo. Wissen Sie noch?

Das zunächst so frühlingshaft daherkommende Grün büßt zurzeit einiges an Leuchtkraft ein und kommt nun eher matt daher. Das für 2035 angepeilte Verbrenner-Aus steht zwar offiziell noch nicht zur Disposition, aber aus dem Off sind schon leise Sägegeräusche zu vernehmen.

Bereits Anfang Februar hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) die geplante Pestizidrichtlinie beerdigt. Damit hätte der Einsatz chemischer Insekten- und Unkrautvernichtungsmittel bis 2030 halbiert werden sollen. Hätte, hätte, Fahrradkette – empörtes Landvolk hoch zu Traktor und eine emsige Agrarlobby höhlten die Unterstützung in den Mitgliedsstaaten und im EU-Parlament immer mehr aus, und so befindet sich Europa nun in der peinlichen Situation, das 2022 beschlossene Weltnaturschutzabkommen von Montreal gebrochen zu haben. Es sieht nämlich, inspiriert just von den grünen EU-Plänen, eine Halbierung von Pestiziden bis 2030 vor.

Das europäische Lieferkettengesetz, eigentlich ein fertig verhandelter Kompromiss, musste am Mittwoch dieser Woche dran glauben – die FDP als regierungseigene Oppositionspartei hatte, nicht zum ersten Mal (Verbrenner-Pkw, siehe oben, Flottengrenzwerte für Lkw und Busse, Regulierung von künstlicher Intelligenz), in allerletzter Minute ihre Zustimmung verweigert und damit eine Enthaltung der Ampel erzwungen. Diese ist in Brüssel mittlerweile als „German Vote“ bekannt und hat Deutschland den Ruf eines unsicheren Kantonisten eingetragen.

Immerhin, am Dienstag dieser Woche stimmte das EU-Parlament wider Erwarten für das Renaturierungsgesetz, in deutlich entschärfter Form zwar, aber selbst das war der EVP und der Agrarlobby nicht genug. Bis zuletzt hatte es Versuche gegeben, das Regelwerk zu kippen. Bis Ende des Jahrzehnts soll nun ein Fünftel aller Land- und Wasserflächen in der EU renaturiert sein, bis 2050 gar 90 Prozent. Dies also eine Nachricht aus der Abteilung „gerade noch mal gutgegangen“.

Sieht so aus, als hätten Klima- und Umweltschutz derzeit keine Konjunktur. Und wenn die Europawahl (9. Juni, bitte vormerken) tatsächlich den befürchteten Schwenk in Richtung sehr konservativ bis rechtsextrem bringt, müssen wir uns warm anziehen. Apropos warm: Der Januar 2024 war weltweit der wärmste je gemessene, und der Februar könnte das noch toppen. Apriltemperaturen haben wir schon.

Die Gletscher schmelzen unbeirrt weiter, nicht nur in Grönland, und die Wissenschaft debattiert, wann wohl welche Kipppunkte erreicht werden (zum Beispiel im Amazonas oder im Atlantik), ob sich das noch aufhalten lässt oder ob wir bald die Zwei-Grad-Marke knacken. Der Erderhitzung ist es jedenfalls so was von wumpe, ob das Thema gerade unter „ferner liefen“ einsortiert wird, sie macht einfach weiter, und wir fachen sie fleißig an.

Aber! Wie wäre es denn zum Abschluss mit einer richtig guten Nachricht aus Europa? Am Dienstag gab das EU-Parlament grünes Licht für ein sogenanntes Anti-SLAPP-Gesetz. SLAPP steht für „Strategic Lawsuit against Public Participation“. Das sind Klagen, die nur einen Zweck haben: unliebsame kritische Geister, die zu Grund- und Menschenrechten, Missständen in Konzernen, dem Schutz der Demokratie oder dem Kampf gegen Korruption, Desinformation oder Umweltvergehen recherchieren, forschen oder sich engagieren, mundtot zu machen und einzuschüchtern.  

Damit einen guten Start in den März!

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Redakteurin Kerstin Eitner ersehnt eine Konjunkturbelebung bei Klima- und Naturschutz
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Stichwort Zukunft

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welche Zukunft hätten Sie gern? Das haben wir Sie vor Kurzem im Greenpeace Magazin gefragt. Wir haben Sie auf Zeitreise geschickt und gebeten, uns gute Nachrichten aus dem Jahr 2043 zu schicken. Ein Gedankenexperiment, das wir gemeinsam mit dem Berliner Ideenlabor entwickelt hatten. Denn wir finden: Bad News aus der Zukunft gibt’s genug. Die Psychologie aber sagt, dass wir Menschen positive Zukunftsbilder brauchen anstelle von Angst und Frust. Jedenfalls wenn das mit uns und dem Planeten doch noch was werden soll.

Längst haben wir Postkarten, Zeichnungen und Texte aus ganz unterschiedlichen wunderbaren Zukünften im Greenpeace Magazin abgedruckt. Aber Sie, liebe Leserinnen und Leser, haben das Gedankenexperiment offenbar noch nicht beendet. Und so erreichen uns unter dem „Stichwort Zukunft“ noch immer gute Zukunftsaussichten. Vor ein paar Tagen erst aus der siebten Klasse der Alternativschule Berlin.

Im Jahr 2043 gibt es „viele Fahrradstraßen und Fußgängerzonen“, schreibt Lia, 12 Jahre alt: „Die Tierzuchthallen werden zu großen Gewächshäusern umgebaut.“ Und: „An kleinen Bahnhöfen fahren noch täglich Züge in andere Länder.“ Luján, 13 Jahre, meint: „Viele Leute veranstalten Fußballturniere auf den Straßen. Es wird sehr viel gelaufen. Damit es schneller geht, sind von Ampel zu Ampel Seilbahnen angebracht.“

Und Mirjam Büttner aus Wolfsburg hat gemeinsam mit ihrer neunjährigen Nichte die Utopie einer grünen Schwammstadt voller Insekten und Vögel mit gratis Nahverkehr und Farmen auf den Dächern entworfen.

Ich genieße mit Mirjam und ihrer Nichte das Summen und Zwitschern auf der Dachfarm. Ich stelle mir Lia und Luján in ihrem Berlin der kommenden Vierzigerjahre vor, zwei junge Erwachsene in ihrer Wunschzukunft. Leise, menschenfreundlich, ökologisch. Und ich merke: Genau da will ich auch hin!

Zukunft in eigener Sache

Zum Stichwort Zukunft haben wir aus der Redaktion heute auch Nachrichten in eigener Sache. Vielleicht haben Sie es schon gehört oder gelesen: Nach mehr als dreißig Jahren wird das Greenpeace Magazin im Herbst 2024 eingestellt, im September erscheint es zum letzten Mal. Mehr darüber erfahren Sie hier. Deutschlands größtes Umweltmagazin nimmt Abschied und bedankt sich bei Ihnen für Ihre Treue und Unterstützung, für Ihr Engagement – und nicht zuletzt für Ihre stets klugen, ermutigenden Briefe.

Eine Ära endet. Lust auf Zukunft haben wir aber trotzdem. Und deshalb gründet ein achtköpfiges Team aus Mitarbeitenden des Greenpeace Magazins eine neue Zeitschrift – unabhängig, werbefrei, mit der journalistischen Qualität, die Sie so schätzen. Ich bin eine dieser Mitarbeitenden im Gründungsfieber. atmo wird unser neues Magazin heißen, ab Anfang 2025 soll es erscheinen. Digital und gedruckt. Politisch und praktisch. Konsequent und konstruktiv.

Ein neues Umweltmagazin in diesen Zeiten, ist das nicht etwas gewagt? Vielleicht fragen Sie sich, ob wir denn keine anderen Sorgen haben. Doch, die haben wir: kein neues Umweltmagazin in diesen Zeiten.

Liebe Leserinnen und Leser, unsere Wunschzukunft ist eine Zukunft mit Ihnen. Und diese Zukunft ist, wenn Sie mögen, gar nicht so fern. Haben Sie Lust auf eine kleine Reise dorthin? Dann schauen Sie gern auf atmo-magazin.de vorbei und abonnieren Sie dort unseren Newsletter! Wir halten Sie auf dem Laufenden.

Übrigens: Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass das Wort Zukunft so gut wie nie im Plural benutzt wird? Ich finde das seltsam, als gäbe es nur eine Version davon. Dabei ist die Zukunft offen. Lassen Sie uns wählerisch sein und die beste aller möglichen Zukünfte aussuchen!

Im Namen des gesamten atmo-Teams

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Anje Jager
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Redakteurin Katja Morgenthaler hat einen heißen Lesetipp
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Alt, laut, bunt, aktiv

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Oma ist doch einfach die Beste, oder? Mit weißem Dutt und mildem Lächeln sitzt sie im Schaukelstuhl und strickt, wenn sie nicht gerade sensationelle Kekse backt oder sich hingebungsvoll um die Enkel kümmert. Doch dann wurde Oma erst zur Seniorin umdeklariert, später gemeinsam mit Opa als Best Ager oder Silver Ager zur Zielgruppe für Werbung und Marketing und schließlich als Generation 60+ zur begehrten Fachkraft erklärt.

Aber viele Frauen im Rentenalter haben heute was anderes vor: Sie basteln sensationelle Schilder und Transparente, kümmern sich hingebungsvoll um Demokratie und Umweltschutz, gründen Gruppen und verabreden sich statt zu Kaffeekränzchen oder Kreuzfahrt zum Demonstrieren und Protestieren auf der Straße.  

Die Omas gegen rechts zum Beispiel, „Ersthelfer gegen Demokratiefeinde“, sind mittlerweile in zahlreichen kleinen, mittleren und großen Städten vertreten, ebenso wie die Omas for Future, im Einsatz für eine enkeltaugliche Zukunft. Die Schweizer KlimaSeniorinnen haben ihre Regierung verklagt, weil diese sie nicht ausreichend vor den Folgen der Klimakrise schütze. Und in den USA konzentrieren sich die Climate Grannies, ein Oberbegriff für zahlreiche unterschiedliche Gruppierungen, häufig auf die Schnittstelle von sozialer Gerechtigkeit und Klimakrise, von der ärmere Menschen, Indigene und Afroamerikaner stärker betroffen sind als die weiße Mittelschicht.

Aus Nordamerika – genauer gesagt aus Kanada – stammten seinerzeit auch die Raging Grannies. Diese „wütenden Omas“ machten in den späten Achtzigerjahren mit Protesten gegen atomar bewaffnete Kriegsschiffe von sich reden und erweiterten ihren Aktionsradius später auf die Abholzung von Urwäldern und andere Umweltthemen. Um nicht mehr übersehen und überhört zu werden, trugen sie bunte und häufig schrille Outfits und begleiteten ihre Auftritte meist mit Gesang.

Manche dieser Frauen können auf Jahrzehnte des politischen Aktivismus zurückblicken – für Frieden, sauberes Wasser und saubere Luft, gegen Investitionen der Banken in fossile Energien und vieles mehr. So wie Jane Fonda, 86. In den Siebzigerjahren protestierte die Schauspielerin gegen den Vietnamkrieg; heute lässt sie sich bei Klima-Demos festnehmen und unterstützt Wahlkampagnen von Kandidatinnen und Kandidaten, die sich für Klimaschutz stark machen. Verhaftet werden natürlich auch Omas, meist geht die Polizei aber recht höflich und rücksichtsvoll vor. Wer vermöbelt schon eine Frau, die die eigene Großmutter sein könnte?

Auch in Deutschland ist das Engagement älterer Frauen nicht eben erst erfunden worden. Zwar ist keine von ihnen so prominent wie Jane Fonda, aber einige brachten es zu einer gewissen Berühmtheit, etwa Marianne Fritzen, Galionsfigur der Anti-Atom-Proteste im Wendland. Wer kennt nicht das ikonische Foto der kleinen Frau mit Strickmütze, die einer Reihe hochgewachsener Polizisten gegenübersteht? Oder Irmgard Gietl, Hausfrau und Mutter aus der bayerischen Oberpfalz – und eines der Gesichter des Widerstands gegen die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf.

Marianne Fritzen starb 2016, Irmgard Gietl 2023. Irmela Mensah-Schramm hingegen ist weiterhin auf der Jagd nach Nazi-Schmierereien oder -aufklebern, die sie übersprüht oder entfernt, wenn die Behörden untätig geblieben sind. Das macht die heute 78-Jährige, die sich als „Politputze“ bezeichnet, schon seit 1986. Es hat ihr einerseits Ehrungen, andererseits Morddrohungen und mehrere Gerichtsprozesse eingebracht – wegen Sachbeschädigung.

Wir sehen: Erstens, es gibt keine Altersgrenze für gesellschaftliches Engagement, weder nach unten noch nach oben. Zweitens, Frauen (Männer sind übrigens mitgemeint) im Oma-Alter – sie müssen nicht zwangsläufig Großmütter sein, auch Kinderlose können mitmachen – haben heute oftmals keine Lust, sich auf häusliche Tätigkeiten oder rege Reiseaktivitäten zu beschränken.

Obwohl sie das natürlich gern auch weiterhin machen sollen. Irmgard Gietl zum Beispiel wurde selten ohne Strickzeug gesichtet. Nicht wenige Aktive sind mit dem Ergebnis ihrer Nadelarbeit beschenkt worden: Widerstandssocken. Schließlich sollte niemand beim Demonstrieren in kühler Witterung kalte Füße bekommen.

O.k., und wo ist jetzt die nächste Demo? Auskunft erteilt gern das DemokraTEAM.

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Redakteurin Kerstin Eitner meint: Gesellschaftliches Engagement steht Frauen jeden Alters
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