Endlager Erde

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benutzen Sie Zahnseide oder eine Pfanne mit Antihaftbeschichtung, vielleicht zum Braten von Fischen und Meeresfrüchten? Holen Sie sich unterwegs öfter mal Pommes oder andere Snacks in vermeintlich umweltfreundlichen, beschichteten Pappverpackungen? Wandern Sie gern in geeignetem Schuhwerk und gut imprägnierter Outdoorkleidung? Über diese und viele andere Alltagsprodukte können PFAS in Ihren Körper gelangen, aber auch über die Lebensmittel auf Ihrem Teller, Trinkwasser, Staub und mancherorts mit der Umgebungsluft. Es ist zwar möglich, ihre Aufnahme zu verringern, aber es kostet einige Mühe.

PFAS ist die Abkürzung für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, eine im Wortsinn weltweit verbreitete Gruppe von Chemikalien. Die Großfamilie besteht aus Tausenden festen, flüssigen oder gasförmigen Verbindungen. Über Meeresströmungen, Luft und Regen werden sie buchstäblich bis in den letzten Winkel der Erde transportiert. Dass sie in so vielen verschiedenen Produkten verarbeitet werden, liegt an ihren guten Eigenschaften. Sie sind wasser-, fett- und schmutzabweisend, hitze- und druckbeständig, nicht mal Säure kann ihnen etwas anhaben. Kehrseite: Die extrem stabilen Ewigkeitschemikalien bauen sich in der Natur nicht ab, sondern bleiben über tausend Jahre in Böden, Grundwasser, Pflanzen und Tieren und selbst in dem Niederschlag, der über den Polregionen niedergeht.

Bei der Verteilung problematischer Substanzen auf dem gesamten Erdball hat die Menschheit, das muss man ihr lassen, ganze Arbeit geleistet (und tut das weiterhin unermüdlich). Auch das allgegenwärtige Mikroplastik, das in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit bekommen hat, landet ja keineswegs nur in Industriegebieten oder -staaten, sondern ist auch in eher menschenleeren Regionen wie Wüsten, Tiefsee, Hochgebirge und sogar auf dem Mount Everest zu finden.

Praktisch jeder Mensch auf dem Planeten hat PFAS im Blut, und das ist alles andere als harmlos. Sie schädigen Leber, Hormon- und Immunsystem, beeinträchtigen die Fortpflanzung, gefährden ungeborene Kinder im Mutterleib und stehen im Verdacht, Krebs zu erzeugen. Systematisch erfasst werden sie nicht, da ihre Gefährlichkeit angeblich erst seit Kurzem bekannt ist. Die US-Chemiefirma DuPont allerdings wusste das seit 1961, setzte ihre Teflonproduktion aber ungerührt fort, bis ein Viehfarmer und sein Anwalt die Firma 1998 verklagten. Es kam zu einem Vergleich. Die Geschichte wurde verfilmt unter dem Titel Dark Waters (Vergiftete Wahrheit). Mittlerweile wurden in den USA Tausende weiterer Klagen eingereicht.

In Deutschland sind mindestens 1500 Orte, es können auch mehr sein, mit PFAS belastet; gern in der Nähe von Industrieanlagen, Flughäfen oder Mülldeponien. Die Bestandsaufnahme verdanken wir Recherchen von SZ, NDR und WDR. Schauen Sie doch mal auf der interaktiven Karte, ob sich die Ewigkeitsgifte auch in Ihrer Nähe befinden. Die Chancen stehen gut. Ach so: Sanierung? Vergessen Sie’s. Das ist sehr kompliziert und astronomisch teuer. Selbstverständlich lehnt die Industrie es ab, sich an den Kosten zu beteiligen.

Bliebe also ein Verbot. Einzelstoffe wie PFOA und PFOS sind bereits verboten, also zwei von rund 10.000. Fünf europäische Länder unter Federführung von Deutschland und den Niederlanden wollen aber tatsächlich Produktion, Verwendung und Import von PFAS in der EU verbieten und haben der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) Anfang des Jahres einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt.

Geprüft, diskutiert und hoffentlich – vermutlich mit Ausnahmen und Übergangsfristen – verabschiedet sein wird das Verbot nicht vor 2025. Schaut man sich das Gezerre um die Abstimmung über eine Neuzulassung von Glyphosat an (die übrigens nächste Woche wieder auf der Tagesordnung steht), kann einem ein bisschen mulmig werden. Zumal Industrieverbände, etwa Autoindustrie, Maschinenbau sowie Elektro- und Digitalindustrie, schon warnen, dass ein generelles Verbot die Klimaziele gefährde. Die offenbar immer dann entdeckt werden, wenn es an das eigene Geschäftsmodell geht.

Stimmt schon, es gibt nicht für alle Anwendungen Alternativen. Noch nicht. Aber: Versuch macht klug. Bei Outdoorkleidung hat es auch geklappt.

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Redakteurin Kerstin Eitner findet Langlebigkeit bei Produkten gut, bei Chemiegiften nicht
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Was würden Sie tun?

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wahrscheinlich kennen Sie das Gefühl: Wenn es einen frühmorgens aus dem Schlaf reißt und im Kopf die ungeordneten Gedanken anfangen zu tanzen. Zu kurz war die Nacht bis dahin, um dem Gehirn Gelegenheit zu geben, alles zu sortieren. Stattdessen schieben sich die Bilder übereinander: Nachrichtensendungen, Erlebnisse vom Vortag, Erinnerungen, schöne wie schlimme; dazu Sorgen, Ängste. Immer mehr Deutsche schlafen schlecht, ergab eine gerade veröffentlichte Untersuchung der Barmer Ersatzkasse. Sechs Millionen Übermüdete sollen es sein, die sich nachts nicht mehr richtig erholen, und ich bin sicher, in diesen Tagen sind ein paar Hunderttausend dazu gekommen.

Wie soll man nachts auch klarkommen mit den täglichen Meldungen, die einem mit einem Gefühlsorchester allein lassen, das in voller Lautstärke spielt? Vergangene Woche schrieb an dieser Stelle meine Kollegin Kerstin Eitner, sie fühle sich nicht berufen, etwas zum Krieg im Nahen Osten zu schreiben und lieferte dann doch zwei kluge Zitate zum Thema. Auch ich würde es als anmaßend empfinden, Ihnen an dieser Stelle vermeintlich Allgemeingültiges zu verkünden, vor allem nicht als „die“ Stimme der Redaktion, in der es zum Glück viele unterschiedliche Perspektiven dazu gibt. Aber ich möchte das Durcheinander in meinem Kopf trotzdem kurz mit Ihnen teilen, einfach weil ich glaube, dass es einigen von Ihnen womöglich so geht wie mir.

Traumata

Wahrscheinlich gehören Sie nicht zu den Menschen, die sich Videos vom barbarischen Gemetzel der Hamas-Terroristen angesehen haben, ich kann es auch nicht empfehlen. Die Vorführung einer 43 Minuten langen Zusammenfassung vor der internationalen Presse durch die israelische Armee ließ einige der 150 anwesenden Journalistinnen und Journalisten in Tränen ausbrechen, anderen wurde übel. Die freiwilligen israelischen Helferinnen und Helfer, die in den Küchen der überfallenen Kibbuze, in den zerstörten Kinderzimmern, am Straßenrand oder auf den Feldern die Überreste der jüdischen Opfer bergen mussten, werden die Bilder ebenfalls nie vergessen. Auch mit den Hartgesottensten unter ihnen, die in Israel jahrelange Erfahrungen etwa mit dem Anblick der bei den vielen Sprengstoffattentaten von Hamas, Dschidhad & Co. zerfetzten Leichen gesammelt haben, um sie nach jüdischem Gebot möglichst vollständig bestatten zu können, macht es etwas, wenn sie den abgeschnittenen Kopf eines Säuglings in den Händen halten. 

Die Charta der Hamas, von der Umfragen zufolge kürzlich über fünfzig Prozent der Bewohner im Gaza oder Westjordanland eine positive Meinung haben, sieht nicht nur die Auslöschung Israels vor, sondern die der Juden auf der ganzen Welt. In ihr heißt es: „Die Stunde der Auferstehung wird nicht kommen, bis die Muslime gegen die Juden kämpfen. Die Muslime werden sie töten, bis sich der Jude hinter Stein und Baum verbirgt, und Stein und Baum dann sagen: Muslim, Oh Diener Gottes! Da ist ein Jude hinter mir. Komm und töte ihn!’“

Die bei lebendigem Leib verbrannten Kinder, die aufgerissenen Bäuche der Schwangeren und Vergewaltigten, haben es nicht in die deutschen Abendnachrichten geschafft, in ganz Europa nicht, ein unauflösbares Dilemma, weil dieser Horror so nicht annähernd die nachhaltige Wucht entfalten kann wie die aktuellen Bilder aus Gaza. Dass von dort aus auch nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober bis heute regelmäßig Raketen auf die israelische Bevölkerung abgefeuert werden, wird, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt. Die – hoffentlich noch lebenden – über 200 jüdischen Geiseln, die jüngste neun Monate alt, die in den mit Waffen und Kämpfern vollgestopften Tunneln unterhalb von Moscheen, Wohnhäusern, Schulen und Krankenhäusern gefangen gehalten werden, sehen wir naturgemäß ebenfalls nicht. Stattdessen Abend für Abend vorwiegend die Zerstörungen durch israelische Angriffe auf die Stellungen der Hamas, die Tränen verzweifelter Mütter und blutende Kinder in Gaza City oder Al Nazlah – die oberirdischen Geiseln der terroristischen Herrscher. Als solche erleben sie schreckliche Zeiten und benötigen dringend humanitäre Hilfe. Die Hamas nimmt das Leiden der Schwächsten gern in Kauf. Die militärische Reaktion Israels, um endlich die jahrelangen Angriffe der Hamas zu stoppen, liefert zuverlässig die passenden Schreckensbilder. Sie fachen den schon vorher nicht nur in der arabischen Welt verbreiteten Judenhass immer wieder neu an.

Vorgeschichten

Umso trauriger zu erleben, wie sich auch eine Greta Thunberg indirekt mit der Mission der Hamas solidarisiert. Wenn sie sich mit „Free Palestine“-Plakaten zeigt und auf entsprechende Propagandaseiten verlinkt, macht sie sich letztlich die dortigen Forderungen zu eigen, das neue Palästina auch auf dem heutigen Staatsgebiet Israels zu errichten („From the River to the Sea...“). Man wüsste gern von ihr, was dann eigentlich aus den jetzt dort Lebenden werden soll. Dabei müssten der Zwanzigjährigen die jungen Tanzenden des von den Hamas-Barbaren gestürmten Supernova-Festivals („Free love and spirit, environmental preservation“) doch eigentlich tausendmal näher sein als die geistigen Jünger und Kostgänger der iranischen Islamisten. Die Hamas-Vorbilder lassen junge Mädchen auch schon mal totprügeln, wenn sie es wagen, ihre Haare zu zeigen. Schutz und Geld bekommt die Hamas auch von arabischen Diktaturen wie Katar, die ihren Reichtum ironischerweise der jahrzehntelangen Befeuerung der Erderhitzung verdanken und die gegen alle Proteste der weltweiten Klimaschutzbewegung den ungebremsten Ausbau fossiler Energien weiter vorantreiben. Wenigstens hat sich der deutsche Ableger von Fridays for Future umgehend von den Wortführern der internationalen Sektion distanziert („Wir sind solidarisch mit den Opfern der Gewalt der Hamas“). Man sehe auch das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza, „insbesondere der Kinder“. Und sie haben so recht, wenn sie schreiben: „Unsere Herzen sind groß genug, all das gleichzeitig fühlen zu können.“

Bitter hingegen, wie UN-Generalsekretär Antonio Guterres, der für die Dringlichkeit der Klimakrise regelmäßig die richtigen Worte findet, ebenfalls unablässig vom „Kontext“ der Hamas-Untaten spricht, als gäbe es irgendeine Vorgeschichte, die deren Mordorgien rechtfertigen oder auch nur begründen könnte. Ein „Kontext“ übrigens, den er bei den Militäraktionen der israelischen Armee nicht herzustellen vermag, als läge nicht in der jahrhundertelangen Dauerverfolgung der Juden durch Pogrome, Massenmord und weltweite Terroranschläge der Schlüssel für das verzweifelte Vorgehen Israels. Die Bereitwilligkeit, mit der zunächst zahlreiche hoch geschätzte Medien von der Tagesschau über die New York Times bis zur Süddeutschen unter Verweis auf Quellen der Hamas das Propagandamärchen vom „israelischen Angriff“ auf das Al-Ahli-Hospital mit „hunderten Toten“ übernahmen, zeigt den verbreiteten Unwillen, sich aus den ewigen „Auge-um-Auge“-Erzählungen von der „Spirale der Gewalt“ zu lösen, die am Ende „beide Seiten“ auf die gleiche moralische Stufe stellt. 

Bürgerpflicht

Und dann sind da noch die wortgewaltigen Kulturkrieger der Rechten, die gern auf die antisemitischen Pro-Palästina-Demonstrierenden in Berlin-Neukölln eindreschen, aber keine Probleme mit den auf Querdenker-Kundgebungen stolz getragenen stilisierten Judensternen hatten. Oder wenn ein stellvertretender Ministerpräsident als Siebzehnjähriger Flugblätter mit sich herumtrug, in denen als ironisiertes Gewinnspiel ein „Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz“ oder ein „Aufenthalt im Massengrab“ ausgelobt wurde. Und selbst, wenn es mal wirklich gut gemeint ist wie bei der viel zu schwach besuchten Berliner Solidaritätsdemonstration mit Israel, klingt eine Rede wie die von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier ungut in den Ohren. Er spricht im bleiernen Tonfall von der „Bürgerpflicht“, dem Judenhass entgegen zu treten – und rückt diese Herzenssache emotional damit ungewollt in die Nähe von Kehrwoche und Einkommenssteuerzahlung.

Irgendwann morgens zwischen 3:46 Uhr und 5:12 Uhr findet man sich so im Gedankennebel zwischen allen Stühlen wieder, dort, wo sich auch weite Teile der israelischen Linken und Friedensbewegung gerade sehen. Vergangene Woche veröffentlichte eine Gruppe von 75 prominenten Intellektuellen wie der Soziologin Eva Illouz oder dem Schriftsteller David Grossmann einen offenen Brief an ihre progressiven Freundinnen und Freunde in aller Welt: „Wir hätten nie gedacht, dass Menschen auf der Linken, die für Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlfahrt eintreten, eine solch extreme moralische Gefühllosigkeit und politische Rücksichtslosigkeit an den Tag legen würden.“ Wir alle müssen uns die Frage, die Matan, der israelische Schwager einer Freundin von mir, auf Instagram gestellt hat, gefallen lassen: „Was würden Sie tun?“ 

Ich finde keine Antwort, die mich gut schlafen lässt.

Ich wünsche Ihnen trotz allem ein gutes, erholsames, ausgeschlafenes Wochenende und sehne mich weiter nach Nachrichten, in denen keine Kinder mehr sterben und keine Eltern und Großeltern mehr weinen, egal, auf welcher Seite der Grenzen Israels.

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More Gore!

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nein, zum Terrorangriff der Hamas, dem Krieg in Israel, zu all dem Grauen und Leid werde ich mich nicht äußern. Dazu fühle mich nicht berufen. Allenfalls kann ich mich einer Haltung anschließen wie der Meron Mendels: „Ich unterscheide nicht zwischen einem toten Kind im Kibbuz oder in Gaza.“ Oder Daniel Barenboim beipflichten, der schreibt: „Genau jetzt müssen wir alle im Anderen den Menschen sehen.“ Ihnen und anderen Besonnenen möchte ich zuhören und nicht jenen Besoffenen, die nur zu gern auch dem Rest der Welt ihren hochprozentigen Hass verabreichen würden.

Wobei es derzeit gar nicht so einfach ist, sich auf Themen jenseits der Kriege und Konflikte auf ebendieser Welt zu konzentrieren. Wo lässt sich Zuflucht ohne Weltflucht und Aufmunterung jenseits von Glückskekssprüchen finden?

Zum einen in der Nachbarschaft: Polen hat ein neues Parlament gewählt, und wie es aussieht, geht die PiS-Ära dem Ende entgegen. Falls dieser Partei nicht noch ein paar üble Winkelzüge einfallen, was einige befürchten. Aber schließlich wird sie den Wechsel wohl nicht verhindern, sondern höchstens hinauszögern können. Ein Seufzer der Erleichterung geht durch Europa.

Zum anderen dringt unverhofft ein Lichtstreif ins Gemüt, als man im New Yorker auf ein Interview mit Al Gore stößt, dem einstigen demokratischen Vize- und späteren Beinah-Präsidenten der USA. Mit 537 umstrittenen Stimmen im US-Bundesstaat Florida unterlag er nach einem nervenzehrenden Monat mit Nachzählungen und Gerichtsverfahren aber George W. Bush.

Ein harter Schlag, aber Gore versank nicht in Trübsal. Der Mann ist Berufsoptimist, auch als heute 75-Jähriger. Muss er auch, denn schließlich ist er seit über dreißig Jahren als Klimaaktivist im Einsatz. Richtig berühmt wurde er als unermüdlicher Kämpfer gegen die Erderhitzung in dem Dokumentarfilm „An Inconvenient Truth“ (Eine unbequeme Wahrheit“) unter der Regie von Davis Guggenheim. 2007 bekam er dann den Friedensnobelpreis, zusammen mit dem Weltklimarat IPCC.

Man befinde sich, das sei wohl inzwischen klar, längst inmitten der Klimakrise, sagt er. Dabei wisse man ja, welchen Schalter man betätigen müsse, damit die Temperaturen auf der Erde in der relativ kurzen Zeitspanne von drei bis fünf Jahren wieder sinken: die Treibhausgasemissionen so weit reduzieren, dass diese keine Auswirkungen auf das Klima ausüben (Netto-Null-Emissionen). Dann könne sich die Atmosphäre in einigen Jahrzehnten wieder erholen.

Ja, wenn’s weiter nichts ist. Die Sache ist natürlich etwas komplizierter. Der erste Schritt wäre: das Verfeuern fossiler Brennstoffe stoppen, die Hauptursache für die Klimakrise. Was, so Gore, eben auch hieße, den Multis in die Parade zu fahren, die ökonomische in politische Macht verwandelt hätten – etwa durch Lobby-Aktivitäten und finanzielle Unterstützung von Wahlkampagnen (in den USA, wo stets die mit dem dicksten Finanzpolster die Wahl gewinnen, mehr als überall sonst).  

Gern mischen auch ehemalige Manager aus der fossilen Industrie in der Politik mit. Donald Trump machte Rex Tillerson, den einstigen Geschäftsführer des Ölgiganten ExxonMobil, zum Außenminister. Den nächsten Weltklimagipfel in den Vereinigten Arabischen Emiraten leitet Sultan al-Jaber, seines Zeichens Chef des staatlichen Ölkonzerns sowie im Nebenjob Industrieminister. Auch die EU hielt es für eine gute Idee, den früheren Shell-Manager Wopke Hoekstra zum Klimakommissar zu machen. Al Gore verweist darauf, dass die fossile Industrie zum letzten Klimagipfel mehr Delegierte schickte als die zehn am meisten von der Klimakrise betroffenen Staaten zusammen.

Was also tun? Gore schlägt vor, die Regeln so zu ändern, dass bei Klimakonferenzen nicht alles im Konsens entschieden werden muss und ein einziger Abweichler unter den Staaten alles torpedieren kann. Wie beim letzten Mal, als, Überraschung, Saudi-Arabien etwas dagegen hatte, dass fossile Energien auch nur erwähnt wurden. So eine Änderung werde kein Spaziergang, räumt selbst der Berufsoptimist ein. Drei Viertel der Vertragsstaaten müssten ihr zustimmen. Ich hoffe sehr, dass hinter den Kulissen bereits eifrig Netzwerke für so eine Regeländerung geknüpft werden. „Schwierig“ ist schließlich nicht gleichbedeutend mit „unmöglich“.

Vielleicht aber wird den Fossilen noch von ganz anderer Seite der Stecker gezogen. Achtzig Prozent der neu installierten elektrischen Leistung seien letztes Jahr aus Sonne und Wind generiert worden, sagt Gore. Forschende der Universität Exeter und des University College London haben ermittelt, dass die Sonne noch vor Mitte dieses Jahrhunderts zur weltweit wichtigsten Energiequelle werden könnte, vorausgesetzt, es werden ihr keine Bremsklötze in den Weg gelegt.

Na dann los, Bremsklötze weg und „Let the Sunshine In“! Damit meinten die Hippies im Musical „Hair“ anno 1969 zwar nicht die Fotovoltaik, sondern Frieden, Liebe und Harmonie. Aber hat man je einen Song gehört, der Öl und Gas mit so wunderbaren Dingen in Verbindung gebracht hätte? Eben.

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Redakteurin Kerstin Eitner sucht kleine Lichtblicke in düsteren Zeiten – und wird fündig
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Respekt, Ihr Tiere!

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ich oute mich an dieser Stelle: Ja, ich schaue mir gern Tiervideos auf Instagram an. Der Algorithmus liefert mir immer neue extrem witzige und faszinierende Clips von Hunden, Waschbären oder Kraken, die die erstaunlichsten und wunderbarsten Dinge tun. Ich kann mich nicht sattsehen an Tieren aller Art, die spielen und Spaß haben, tricksen und Probleme lösen, Emotionen zeigen, Gedanken lesen und die Welt erkunden.

Ähnlich geht es wohl den Forschenden, die über die kognitiven und emotionalen Fähigkeiten von Tieren mithilfe genauer Beobachtungen und raffinierter Versuchsaufbauten immer Neues in Erfahrung bringen – nicht nur bei den üblichen Verdächtigen wie Menschenaffen, Delfinen oder Elefanten, sondern auch bei Fischen, Vögeln und gar Wirbellosen wie Insekten und Kraken, die uns so fremd erscheinen. Und je mehr wir über die Leistungen, das Gefühlsleben und damit verbunden über die Leidensfähigkeit der Tiere erfahren, desto fragwürdiger erscheint unser Umgang mit ihnen. So kommen auch Philosophen und Juristinnen, wenn es um das Verhältnis zu unseren Mitgeschöpfen geht, zu ganz neuen Schlüssen – mit weitreichenden Konsequenzen auch für unser Leben.

In der neuen Ausgabe des Greenpeace Magazins fragt unsere Autorin Theresa Bäuerlein, ob der menschliche Geist wirklich das Maß aller Dinge ist – und findet die Antwort (nein!) befreiend. Wir besuchen den Verhaltensforscher Lars Chittka, der in seinem Londoner Labor über Hummeln und Bienen Dinge herausfindet, die unseren Blick auf die Insekten grundlegend verändern. Eine spannende Reportage schildert den aktuellen Stand im Streit um die Wölfe – wobei klar ist, dass die Koexistenz mit diesen intelligenten Tieren, die sich im dicht besiedelten Deutschland erfolgreich ausbreiten, ein kluges und besonnenes Handeln der Menschen erfordert. Wir lernen, dass mitfühlende Schweine ihre Stallgenossen aus Notlagen befreien, begleiten den Aufstieg des Kraken vom gefürchteten Seeungeheuer zum bewunderten Publikumsliebling – und erfahren, wie eine „Animalische Magna Carta“ aussehen könnte, tierliche Grundrechte, die sich aus dem aktuellen Forschungsstand ableiten ließen.

Im neuen Greenpeace Magazin finden Sie aber auch Anorganisches: einen Report über den Auto(bahn)wahn im ampelregierten Deutschland zum Beispiel oder einen Bericht über das drohende Scheitern des geplanten EU-Gesetzes zum Schutz der Böden – einer unserer wertvollsten und zugleich am stärksten bedrohten Ressourcen. Eine Reportage aus Südafrika begleitet Arbeiterinnen, die sich dagegen zur Wehr setzen, dass sie bei der Traubenernte für Discounterwein in Deutschland ungeschützt Pestiziden ausgesetzt sind. Dazu gibt es wie immer Tipps für ein nachhaltigeres Leben – zum ökologisch vertretbaren Möbelkauf etwa, zu Spülmaschinentabs und zu guten Büchern.

Viel Spaß bei der Lesereise!

In unserer letzten Wochenauslese wollten wir von Ihnen wissen, ob Sie den zahlreichen Klimaklagen gegen Konzerne und Staaten zutrauen, etwas zu bewirken. Das Ergebnis beeindruckt: 92,1 Prozent von Ihnen stimmten mit Ja. Anlässlich unseres Tierhefts lautet die Umfrage für diese Woche: Sollten Wölfe abgeschossen werden dürfen? Abstimmen können Sie hier. Das Ergebnis teilen wir wie immer in der nächsten Wochenauslese mit.

Und noch etwas: Wir würden sehr gern erfahren, was Sie von dem, was wir tun, eigentlich halten. Was gefällt Ihnen am Greenpeace Magazin im Allgemeinen und an der neuen Ausgabe zur Tierintelligenz im Besonderen, was weniger, und welche Themen liegen Ihnen am Herzen? Deshalb laden wir Sie wieder herzlich zu einer Videokonferenz zum Hefterscheinen ein – am kommenden Donnerstag, den 12. Oktober, um 18 Uhr. Wenn Sie uns kennenlernen wollen, schicken Sie eine Mail an gpm@greenpeace-magazin.de – unter allen, die uns schreiben, verlosen wir etwas aus unserem Warenhaus.

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Redakteur Wolfgang Hassenstein lädt zum Stöbern im neuen Heft ein, das kluge Tiere feiert
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